Wiesbaden: „Leuchtkraft der Spätgotik ist wieder erlebbar“


24 Apr 2010 [08:49h]     Bookmark and Share




Staatssekretär Krämer präsentiert den in rund vierjähriger Arbeit für 260.000 Euro restaurierten Schöllenbacher Altar / Rückkehr ins Schloss Erbach Ende August

Wiesbaden – Die Restaurierung des 1515 entstandenen Schöllenbacher Altars ist abgeschlossen. Der Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Gerd Krämer, präsentierte das Ergebnis der rund vierjährigen Arbeit gemeinsam mit der Leiterin der Restaurierungswerkstätten des Landesamts für Denkmalpflege Hessen, Christine Kenner, im Wiesbadener Schloss Biebrich. „Es ist gelungen, die gefährdete Substanz des Altars zu sichern und damit einen der größten Altäre aus der Kunstregion des Mittelrheins für künftige Generationen zu bewahren“, sagte der Staatssekretär. „Die Farbigkeiten der Spätgotik und des 19. Jahrhunderts sind für den Betrachter wieder in ihrer ursprünglichen Leuchtkraft erlebbar. Außerdem verdanken wir der Restaurierung viele kunstwissenschaftliche Erkenntnisse etwa zur Herstellungstechnik, zur genauen Entstehungszeit und über das ursprüngliche Aussehen des Schöllenbacher Altars.“ Der Schnitzaltar wird wieder an seinen bisherigen Aufstellungsort in der Hubertuskapelle des Schlosses Erbach im Odenwald zurückkehren. Zurzeit wird der Raum dafür hergerichtet. Ende August wird Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann das sakrale Kunstwerk wieder der Öffentlichkeit übergeben.

Der Flügelaltar ist 4,30 Meter hoch und mit geöffneten Flügeln 5,20 Meter breit. Erhalten sind der Mittelschrein und beide Flügel, mit deren Hilfe der Schrein geschlossen werden konnte, sowie die als Untersatz dienende so genannte Predella. Mittelschrein und Predella zeigen eine nahezu vollrund geschnitzte Darstellung der Wurzel Jesse, die sinnbildlich für den Stammbaum Christi steht: Im Predellenkasten liegt der schlafende Jesse, flankiert von Aaron und Moses. Die seiner Brust entspringende Wurzel wächst durch das Bodenbrett des Mittelschreins empor, verzweigt sich und treibt vielfach große, kelchartige Blüten aus. Diesen Blüten entspringen die Büsten der alttestamentarischen Könige. An oberster Stelle und als letzter Spross steht Maria auf der Mondsichel, den Christusknaben präsentierend. Auf den Innenseiten der Flügel sind sieben Relieftafeln mit Szenen aus dem Marienleben angebracht. Die gemalten Flügelaußenseiten zeigten einst die Verkündigung an Maria.

Der Altar war von den Erbacher Grafen für die ehemalige Wallfahrtskirche zu Schöllenbach am südöstlichen Rand der damaligen Grafschaft Erbach gestiftet worden. Aufgrund der Wappen an der Predellen-Vorderseite wird die Stiftung des Altars auf Graf Eberhard VIII. von Erbach und Maria von Wertheim zurückgeführt, deren Eheschließung 1503 belegt ist. Die Einführung der Reformation in der Grafschaft bedeutete das Ende der Wallfahrt zu Schöllenbach. Die Kirche dort verfiel, und der Altar wurde Anfang des 17. Jahrhunderts auf Veranlassung der Grafen in die Friedhofskirche zu Erbach gebracht. Im späten 19. Jahrhundert erhielt der Altar einen neuen Aufstellungsort an der Seitenwand der dafür neu eingerichteten Hubertuskapelle im Schloss Erbach. Schrein und Predella, Figuren und Relieftafeln wurden damals mit einer neuen Farbfassung versehen. Eine weitere Überarbeitung der Farbfassung fand statt, nachdem Teile des Altars während des Zweiten Weltkrieges ausgelagert und dann wieder in die Kapelle gebracht worden waren.

„Klimaschwankungen in der Kapelle vor allem aufgrund der Heizung, Befall durch Holzschädlinge und die Überarbeitungen am Altar selbst führten zu einer Vielzahl von teilweise starken Schäden an der Holzsubstanz und den Farbfassungen“, erläuterte Christine Kenner: „Vor der Restaurierung war die sehr qualitätvolle, originale Farbfassung des Mittelalters unter dicken Schmutzschichten nur noch an wenigen Stellen vage ablesbar. Das Erscheinungsbild wurde bestimmt durch die Überfassung des 19. und vor allem durch die grobe, farblich stark verfälschende Überarbeitung des 20. Jahrhunderts.“

Seit Frühjahr 2006 wurde der Altar in der Restaurierungswerkstatt des Landesamts in Wiesbaden wiederhergestellt. Dazu wurden die freischaffenden Gemälde- und Skulpturenrestauratorinnen Christiane Haeseler und Gesine Dietrich hinzugezogen, die in Abstimmung mit Werkstattleiterin Christine Kenner die Untersuchung, Konzepterstellung und die Arbeiten vornahmen. Sie wurden unterstützt durch die Restauratorin Bettina Grober und zeitweilig durch die Restaurierungsstudentin Freya Markgraf. Bestimmte Fragen und Entscheidungen wurden darüber hinaus mit einer Expertenkommission erörtert. Die Gesamtkosten für die Restaurierungsarbeiten liegen bei rund 260.000 Euro.

Dabei kamen auf der Rückseite überraschend Fragmente einer Darstellung mit dem Schweißtuch der heiligen Veronika zum Vorschein, über dem sich Reste einer originalen Jahreszahl fanden, die das Jahr der Fertigstellung mit 1515 angibt. Die Malereien lassen den Schluss zu, dass der Altar am ursprünglichen Aufstellungsort aus liturgischen Gründen umgangen werden konnte, also auch von der Rückseite zu sehen war. Es zeigte sich auch, dass der Altar im Spätmittelalter eine ausgesprochen prächtige Farbfassung erhielt, die mit ausgiebigen Blattgold- und Blattsilberauflagen sowie zahlreichen Verzierungstechniken arbeitete. Die Untersuchungen ergaben auch, dass Malereien und Fassungen der Flügel und der Rückseite demselben Meister zuzuweisen sind.

„Nach der partiellen Konsolidierung des Holzträgers erfolgte die Konservierung und Festigung der Farbfassungen mit anschließender Oberflächenreinigung“, erläuterte Kenner. „Nicht zuletzt wegen der schlechten, nur fragmentarischen Erhaltung stand eine Freilegung der originalen Fassung nicht zur Debatte, wohl aber die Abnahme der unsachgemäßen Überarbeitungen aus dem 20. Jahrhundert.“ Dagegen hatte sich an den Händen und Gesichtern der Figuren die originale Fassung sehr gut und vollständig erhalten. Sie war auch im 19. Jahrhundert akzeptiert und nicht vollständig überfasst, sondern nur teilweise überarbeitet worden. Diese Flächen waren jedoch durch extreme Verschmutzung unansehnlich geworden, sodass mit Hilfe einer Reinigung und der Abnahme späterer Ausbesserungen die so genannten Inkarnate der Spätgotik wieder gewonnen werden konnten, also die Farbtöne für die Darstellung menschlicher Haut. Deren Fassungen sind für einen spätmittelalterlichen Altar außerordentlich gut erhalten und von einer hohen technischen und ästhetischen Qualität, die sich in der Feinteiligkeit der Ausführungen und farbigen Differenziertheit offenbart.







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