Kein Theaterstück, keine Figur wird so sehr mit dem Theater identifiziert wie Shakespeares „Hamlet“. In seiner Aufführungsgeschichte spiegeln sich nationale Theater- und Kulturgeschichten, aber auch Weltgeschichte.
Düsseldorf – „Hamlet“ gehört zu den Wunschrollen der großen Schauspieler, die Geschichte des Dänenprinzen zum festen Repertoire des europäischen und des Welt-Theaters. Bearbeitungen und Verfilmungen zeigen die ungebrochene Kraft der shakespeareschen Dichtung. Unter dem Titel „Hamlet. Europe. Transfer“ startete im Herbst 2008 ein internationales Forschungs- und Ausstellungsprojekt unter der Federführung des Düsseldorfer Theatermuseums. Den Auftakt bildete eine internationale Konferenz, deren wissenschaftliche Beiträge nun in gedruckter Form vorliegen.
Als eine Bestandsaufnahme verstand sich die internationale Konferenz „Hamlet-Transfer. Stage, Language, Politics“ im Oktober 2008 in Düsseldorf. Das Theatermuseum legt jetzt in einer ersten Publikation die Ergebnisse aus Theater-, Literatur- und Medienforschung vor. Mit sieben Vorträgen und zusätzlichen Präsentationen wurde die europäische Dimension des Hamlet-Themas deutlich umrissen. Der Druck der Publikation (72 Seiten) wurde durch die Unterstützung ungenannter Sponsoren ermöglicht; sie ist im Theatermuseum, Jägerhofstraße 1, für zehn Euro erhältlich.
Ziel der Konferenz war es nicht – wie Dr. Winrich Meiszies, Direktor des Düsseldorfer Theatermuseums, betont – „alle Fragen zu klären, sondern Fragestellungen für einen europäischen Forschungsaustausch aufzuwerfen“, an dessen Ende ein gemeinsames Ausstellungsprojekt stehen wird. Eine europäische Ausstellung auf europäische Art und Weise zu erarbeiten, ist das Ziel dieses Netzwerkes. Wichtig ist den Düsseldorfer Initiatoren des Projektes dabei der Transfer-Gedanke, die wechselseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Theaterkulturen zwischen London und Moskau, zwischen Stockholm und Madrid. Gemeinsamkeiten zu betonen, Unterschiede deutlich und verständlich zu machen, macht den europäischen Geist dieses Projektes aus.
Inhalt: Politik und Psychologie
Bei der Konferenz in Düsseldorf führte Ulla Strömbergs (Theatermuseum Kopenhagen) Vortrag an den geografischen Kern des Mythos – das dänische Schloss Kronborg, wo sich seit 1937 traditionell die großen Hamlet-Darsteller von Laurence Olivier über Gustaf Gründgens bis Kenneth Branagh einfinden. 1938 trat dort Gustaf Gründgens mit seiner unter den Nationalsozialisten umstrittenen Hamlet-Interpretation auf. Die politischen Implikationen dieses Gastspiels zwei Jahre vor der Besetzung Dänemarks durch Hitlers Truppen wurden in der gespaltenen Aufnahme durch die dänische Presse und deutliche Hinweise auf dänische Kollaborateure deutlich.
Eine andere Perspektive nahm Prof. Dr. Wolfgang Werners Beitrag ein. Der klinische Psychiater und einzige Naturwissenschaftler in der Runde führte in die Innenwelt Hamlets und des Dramas ein und lieferte damit die Begründung für das weltweite Interesse an der literarischen Figur.
Die Aufführungsgeschichte Osteuropas, die von den beiden großen Theatermuseen in St. Petersburg und Moskau und dem Polnischen Theaterinstitut bei der Konferenz in Düsseldorf vorgestellt wurde, verzeichnete große künstlerische Triumphe und nahm Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Theaters. Liudmilla Mochalova vom Museum für Theater und Musik in St. Petersburg wies in ihrem Vortrag besonders auf die Hamlet-Interpretation Stanislavskis hin. Auch wenn die Erstaufführung am 5. Januar 1912 zahlreiche Debatten und Auseinandersetzungen in Russland auslöste, muss sie als ein großer Erfolg angesehen werden, der auf die Rezeptionsgeschichte des Stückes in ganz Europa zurückwirkte. Daneben wurde die politische Bedeutung des Stückes deutlich, das unter Stalin und seinen Nachfolgern immer wieder von Zensur und Verboten bedroht war. Auch Jerzy Grotowskis polnische Hamlet-Interpretation von 1964 mit deutlichem Bezug auf die antisemitischen Ausschreitungen in Polen nach dem II. Welt
krieg erlebte nur wenige Aufführungen, bevor sie verboten wurde.
Der „Transfer“ des Hamlet-Stoffes scheint im Ausgehen von deutschen oder französischen Hamlet-Übersetzungen für das polnische Nationaltheater auf. Für die politische Identität des von seinen westlichen und östlichen Nachbarn unterdrückten Landes spielt Hamlet in Literatur, Theater und bildender Kunst eine zentrale Rolle, wie Dr. Hans-Christian Trepte (Universität Leipzig) nachwies.
Prof. Tony Howards (Warwick University) These, dass sich politische und gesellschaftliche Umbrüche auch in einer Adaption der Rolle durch Darstellerinnen spiegelten, wurde durch europäische und amerikanische Filmbeispiele belegt. Sarah Bernhardt und Asta Nielsen sind die frühesten „Hamlet“-Verkörperungen im Film.
Nächste Stationen: Warschau und Krakau
Das breit angelegte Feld exemplarischer Themen führte die Tragfähigkeit des Themas „Hamlet“ eindrucksvoll vor Augen und bestärkte die Teilnehmer darin, die Forschung aufzunehmen und für eine Ausstellung aufzubereiten. In einem ersten Schritt wird das Themenfeld der polnisch-deutschen Hamlet-Geschichte in einer eigenen Ausstellung 2011/12 dargestellt werden. Dabei arbeiten das Düsseldorfer Theatermuseum, das Polnische Theaterinstitut in Warschau und die Theaterabteilung des Stadtmuseums Krakau zusammen.