„Ein Fund von europäischer Bedeutung“


28 Aug 2009 [06:01h]     Bookmark and Share


„Ein Fund von europäischer Bedeutung“

„Ein Fund von europäischer Bedeutung“



Staatsministerin Kühne-Hörmann präsentiert den bei Ausgrabungen in Waldgirmes entdeckten lebensgroßen Pferdekopf einer vergoldeten römischen Reiterstatue

Wiesbaden / Frankfurt – „Diese Bronzeskulptur gehört qualitativ zu den besten Stücken, die jemals auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs gefunden wurden.“ Mit diesen Worten hat Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann den lebensgroßen Pferdekopf einer vergoldeten römischen Reiterstatue sowie einen Schuh des Reiters präsentiert, den die Archäologen bei Ausgrabungen in der römischen Stadt Waldgirmes (Gemeinde Lahnau / Lahn-Dill-Kreis) gefunden haben. Dort wurde offensichtlich eine Stadt angelegt, von der aus eine neue Provinz des Römischen Reiches aus verwaltet werden sollte. Die militärische Katastrophe der Römer am Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christus machte dann aber solche Planungen zunichte. „Der Fund hat wegen seiner künstlerischen Qualität und seiner Provenienz eine weit über Hessen und auch über den nordalpinen Raum hinausgehende Bedeutung“, hob die Ministerin in einer Pressekonferenz mit dem Landesarchäologen Prof. Dr. Egon Schallmayer und dem Ersten Direktor der Römisch-Germanischen-Kommission, Prof. Dr. Friedrich Lüth, in Frankfurt hervor. „Wir haben die Reste früher europäischer Geschichte wiederentdeckt. Der einzigartige Pferdekopf zeugt vom geplatzten Traum der Römer, ein unter Ihrer Herrschaft geeintes Europa im modernen Sinne zu schaffen. Waldgirmes ist also durchaus ein Fundort von europäischer Bedeutung“, sagte Kühne-Hörmann. Prof. Schallmayer und Prof. Lüth stellten den Pferdekopf in seinem Rang als archäologische Entdeckung an die Seite des Keltenfürsten vom Glauberg oder der Himmelsscheibe von Nebra. Die Ausgrabungen in Waldgirmes hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Bruchstücke eines lebensgroßen Reiterstandbilds zutage gefördert, das wohl Kaiser Augustus (23 v. Chr. – 14 n. Chr.) darstellt. So wurden etwa ein Pferdefuß und ein schön verzierter Brustgurt des Pferdes gefunden. Am 12. August 2009 entdeckten die Archäologen bei der Freilegung eines der beiden bisher nachgewiesenen Holzbrunnen nun den fast vollständigen Pferdekopf des Standbilds, der auf der Brunnensohle lag. Das Zaumzeug des Pferds ist mit sechs Zierscheiben reich geschmückt. Auf der Stirn befindet sich eine Platte mit der Darstellung des Kriegsgottes Mars, an den Seiten sind so genannte Viktorien (Siegesgöttinen) angebracht. Weist der Fund allein schon aufgrund des genannten imperialen Hintergrunds auf reichspolitische Zusammenhänge hin, so werden diese durch die hervorragende künstlerische Qualität noch unterstrichen. Parallelen finden sich in Italien: Diese Figur wurde wohl von den bedeutendsten Künstlern im Römischen Reich geschaffen. Doch nicht nur die Statue, auch die Steine für ihren Sockel kamen von weither: Da im Lahntal kein leicht und fein zu bearbeitender Stein ansteht, transportierten die Römer Muschelkalkquader aus der Umgebung des lothringischen Metz nach Waldgirmes. Die Reiterstatue muss in den Jahren 4 oder 3 vor Christus – zur Zeit der Anlage der römischen Stadt Waldgirmes – aufgestellt worden sein. Um 9 nach Christus, nach der Niederlage des Varus in der so genannten Schlacht im Teutoburger Wald, gaben die Römer die Stadt auf. Das Standbild wurde von nachfolgenden Germanen zerschlagen und der Pferdekopf rituell in dem Brunnen versenkt, während die anderen Reste weiterverwendet werden sollten. Die Restaurierung und Konservierung des Pferdekopfs sowie der mittlerweile mehr als 100 weiteren, größeren und kleineren Bruchstücke des Reiterstandbilds erfolgt in der Werkstatt der Hessischen Landesarchäologie. Das Bronze- und Eisenmaterial sowie die als Oberflächenauflage erhaltenen Goldfolienreste werden dabei archäo-metallurgisch untersucht. Zugleich werden die Holzfunde der Brunnenverschalung, des Brunnenfasses und einzelner Holzgerätschaften restauriert und konserviert. Vorgesehen ist auch die archäobotanische Untersuchung des Brunneninhalts, denn dadurch können Einzelheiten des Vegetationsumfelds der römischen Siedlung festgestellt werden, was dann wiederum Aussagen zum Charakter der Kulturlandschaft in der Umgebung von Waldgirmes zulässt. Für diese Untersuchungen – zu denen darüber hinaus auch die Auswertung der umfangreichen Grabungsdokumentation, des sonstigen vielfältigen Fundmaterials und die Einordnung der Erkenntnisse in den allgemeinen archäologisch-historischen Kontext gehört – werden nach den Worten von Ministerin Kühne-Hörmann aus Mitteln des Landesamts für Denkmalpflege 150.000 Euro Verfügung gestellt. Sie hob dankend hervor, dass die Aufarbeitung der archäologischen Funde auch mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitteln des Deutschen Archäologischen Instituts bei der Römisch-Germanischen Kommission erfolge. Zur Bearbeitung aller Funde und Befunde wird ein interdisziplinäres Projektteam gebildet, zu dem Provinzialrömische und Klassische Archäologen, Althistoriker, Numismatiker, Archäozoologen, Archäobotaniker, Bodenkundler und Metallurgen gehören. Am Ende wird die Publikation der insgesamt gewonnenen Ergebnisse stehen. „Nach Abschluss der Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten soll der Pferdekopf des Reiterstandbilds im Rahmen einer Sonderausstellung an einem zentralen Ort in Hessen der Öffentlichkeit präsentiert werden“, sagte die Ministerin. Der endgültige Aufstellungsort des Reiterstandbilds und die Präsentation der übrigen Funde werden noch festzulegen sein. Aus der Region liegt eine von Regierungsbezirk Gießen, dem Lahn-Dill-Kreis und der Gemeinde Lahnau unterstützte Machbarkeitsstudie zu einem Museumspark „Römische Stadt an der mittleren Lahn“ vor. Das könnte nach den Worten der Ministerin vielleicht eine langfristige Perspektive sein. Sie verwies zugleich aber auf die angespannte finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte. Seit 1993 erforscht die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Zusammenarbeit mit der Landesarchäologie in Waldgirmes die römische Stadtanlage aus der Zeit des Kaisers Augustus. Maßgeblich unterstützt werden diese Untersuchungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Entdeckt worden war der Siedlungsplatz durch Luftbildbeobachtungen und Lesefundaufnahmen ehrenamtlicher Beauftragter der Landesarchäologie. 1993 wurden erste Sondierungen im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Kelten, Römer und Germanen im Mittelgebirgsraum“ unternommen. Von 1996 bis 2000 fanden in einer Kooperation von Römisch-Germanischer Kommission und Landesarchäologie großflächige Untersuchungen im Rahmen einer Bauvoruntersuchung zur Erschließung neuer Gewerbeflächen in Waldgirmes statt. Seit 2001 ist das Forschungsvorhaben ein Langfrist-Projekt der DFG, das von dieser bis 2011 gefördert wird. 2009 ist das Jahr der letzten großflächigen Ausgrabungen am Ort, die noch bis etwa Mitte Oktober dauern werden. Unterstützt werden die Ausgraben – wie in den Jahren zuvor – vom Förderverein Römisches Forum Waldgirmes e.V., der Gemeinde Lahnau und dem Lahn-Dill-Kreis. Die Ausgrabungen der vergangenen Jahre haben die Reste einer planmäßig angelegten zivilen römischen Stadt zutage gefördert. Sie liefert den Beweis, dass sich die römische Militär- und Verwaltungsmacht hier einen Platz geschaffen hat, von dem aus die weitere strukturelle und verwaltungstechnische Entwicklung der germanischen Gebiete vorangetrieben werden sollte. Die Siedlung wurde kurz vor de
r Zeitenwende gegründet und endete wohl mit dem Rückzug der Römer aus den Gebieten östlich des Rheins im Jahr 16 nach Christus, als diese nach mehreren Rückschlägen den Plan aufgeben mussten, Germanien rechts des Rheins zur Provinz zu machen. Eindrucksvoll ist die Gesamtanlage der Siedlung, die auf einer regelrechten Stadtplanung beruht. Innerhalb einer Umwehrung, die von einem holzverschalten Erdwall mit davor liegendem Graben gebildet wurde, erfolgte die Anlage ganzer Siedlungs- oder Stadtquartiere mit Einzelbauten unterschiedlicher Funktion und Nutzung. Im Zentrum entstand auf 2.200 Quadratmetern das Forum mit Basilika, einem Bautyp wie er im mediterranen Raum als Verwaltungs-, Gerichts- oder auch Markthalle Verwendung fand. Ein solcher Ort bringt die Macht des römischen Staats optisch zum Ausdruck, wenn die Gesamtanlage eine eindrucksvolle Gebäudegestaltung und entsprechende -höhen erreicht und die Bauwerke noch dazu innen und außen entsprechend aufwändig gestaltet sind. Das allein hat aber den Römern offenbar nicht genügt: Vor der großen Halle errichteten sie noch fünf steinerne Postamente, auf denen die Standbilder der höchsten Repräsentanten des Staats Aufstellung fanden. Es liegt auf der Hand, dass hier nur die Statuen des regierenden Kaisers Augustus sowie die seiner engsten Verwandten und Vertrauten standen, um das Imperium Romanum zu repräsentieren. Im Zentrum kann dabei nur der Kaiser selbst gestanden haben, dessen Abbild im Verständnis der Antike seine Anwesenheit am Ort verkörperte.

Foto: www.hmwk.hessen.de







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