Europäische Theaterforscher entdecken den Mythos neu
Düsseldor – Seit 1937 kommen sie an einen bestimmten Platz, den Schauplatz von Shakespeares „Hamlet“ – Schloss Kronborg im dänischen Helsingör. Sie – das sind die großen Hamlet-Darsteller von Laurence Olivier über Gustaf Gründgens bis Kenneth Brannagh. Hamlet ist die Traumrolle für viele Schauspieler, Hamlet ist das Drama des modernen, nachmittelalterlichen Menschen. Shakespeare hat das historische Kronborg nie gesehen, der historische Hamlet nie dort gelebt, dennoch gehört das Schloss am Öresund zu diesem Theatermythos wie der Schädel Yorricks in Hamlets Hand. Eines der großen Missverständnisse: Hamlets berühmter „Sein oder nicht sein“-Monolog gehört nicht in diese Szene.
Internationales Forschungs- und Ausstellungsprojekt
Als eine Bestandsaufnahme verstand sich daher die internationale Konferenz „Hamlet-Transfer“, die jetzt im Düsseldorfer Theatermuseum stattfand – besetzt mit Fachleuten aus Theater-, Literatur- und Medienforschung. Die Konferenz bildete den Auftakt für ein internationales Projekt, das auf mehrere Jahre angelegt ist und dem Mythos Hamlet auf die Spur kommen will. Geplant sind unter anderem Aufführungen, Workshops, weitere Tagungen und zum Abschluss eine große Ausstellung der internationalen Partner. Die Federführung für das Projekt liegt beim Düsseldorfer Theatermuseum.
Mit sieben Vorträgen und zusätzlichen Präsentationen wurde bei der Auftaktkonferenz die europäische Dimension des Hamlet-Themas deutlich umrissen. Ziel der Konferenz war es nicht – wie Düsseldorfs Museumsdirektor Dr. Winrich Meiszies betonte – „alle Fragen zu klären, sondern Fragestellungen für einen europäischen Forschungsaustausch aufzuwerfen“, an dessen Ende das gemeinsame Ausstellungsprojekt stehen wird. „Eine europäische Ausstellung auf europäische Art und Weise zu erarbeiten“, sei, so Meiszies, das Ziel dieses Netzwerkes. Wichtig ist den Initiatoren dabei der Transfer-Gedanke, die wechselseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Theaterkulturen zwischen London und Moskau. Gemeinsamkeiten zu betonen und Unterschiede deutlich werden zu lassen, macht den europäischen Geist dieses Projektes aus.
Politik und Psychologie
Ulla Strömbergs (Theatermuseum Kopenhagen) Vortrag führte an den geografischen Kern des Mythos – das dänische Schloss Kronborg, wo unter anderem 1938 Gustaf Gründgens mit seiner unter den Nationalsozialisten umstrittenen Hamlet-Interpretation auftrat. Die politischen Implikationen dieses Gastspiels zwei Jahre vor der Besetzung Dänemarks durch Hitlers Truppen wurden in der gespaltenen Aufnahme durch die dänische Presse und deutliche Hinweise auf dänische Kollaborateure deutlich.
Prof. Dr. Wolfgang Werner, klinischer Psychiater und der einzige Naturwissenschaftler in der Runde, führte dann in die Innenwelt der Hauptfigur und des Dramas ein und lieferte damit die Begründung für das weltweite Interesse an der Figur.
Die Aufführungsgeschichte Osteuropas, die von den beiden großen Theatermuseen in St. Petersburg und Moskau und dem Polnischen Theaterinstitut vorgestellt wurde, verzeichnet große künstlerische Triumphe, die Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Theaters genommen haben. Daneben wurde die politische Bedeutung des Stückes deutlich, das immer wieder von Zensur und Verboten bedroht war. Für die politische Identität Polens spielt Hamlet in Literatur, Theater und bildender Kunst eine zentrale Rolle, wie Dr. Hans-Christian Trepte (Universität Leipzig) nachwies. Jüngstes Beispiel ist die Übertragung eines polnischen Hamlet-Musicals an den Broadway, dessen deutsche Bearbeitung in der Regie von Harald Schmitt auf die Bühne kommen wird.
Prof. Tony Howards (Warwick University/England) These, dass sich politische und gesellschaftliche Umbrüche auch in einer Adaption der Rolle durch Darstellerinnen spiegelten, wurde durch europäische und amerikanische Filmbeispiele belegt. Sarah Bernhardt und Asta Nielsen sind die frühesten „Hamlet“-Verkörperungen im Film.
Nächste Stationen: Warschau und Kopenhagen
Das breit angelegte Feld exemplarischer Themen führte die Tragfähigkeit des Themas „Hamlet“ eindrucksvoll vor Augen und bestärkte die Teilnehmer darin, die Forschung aufzunehmen und für eine Ausstellung aufzubereiten. Das umfangreiche Themenfeld der deutschen Hamlet-Geschichte wird in einer eigenen deutschen Konferenz bearbeitet werden. Die nächste internationale Konferenz wird vom Polnischen Theaterinstitut in Warschau im kommenden Frühjahr ausgerichtet werden. Danach werden sich die Teilnehmer des Netzwerkes „Hamlet.Europe.Tansfer“ im dänischen Kopenhagen treffen.