Den Islandtiefs auf der Spur
Köln – Für eine präzise Wettervorhersage und verbesserte Klimamodelle ist entscheidend, die Winde über dem Nordatlantik möglichst exakt zu erfassen. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben den Prototypen eines Wind-Lidar (light detection and ranging) entwickelt, der ab Ende 2016 auf einem ESA-Wettersatelliten zum Einsatz kommen soll. Im Mai 2015 erprobt das DLR die Lasertechnik zur Windvermessung mit dem Forschungsflugzeug Falcon. Ausgehend von Island fliegen die Forscher über die Eisflächen Südgrönlands. Ein weiteres bewährtes Wind-Lidar, das bereits bei Vulkanasche-Messungen über Island im Zuge des Eyjafjallajökull-Ausbruchs 2010 im Einsatz war, dient dabei als Vergleichsinstrument. Die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA ist in Island mit eigenem Forschungsflugzeug und Messgeräten zur Unterstützung der Kampagne vor Ort.
Weltweit einmalige Windmessungen
Die Wind-Lasermesstechnik, die jetzt auf dem Flugzeug erprobt und kalibriert wird, ist ein wichtiger Schritt zur ESA-Mission ADM-Aeolus (Atmospheric Dynamics Mission), die weltweit als erste in der Lage sein wird, die Windfelder der Erde im Detail zu vermessen. Mithilfe eines Doppler-Wind-Lidar wird dieser neuartige Wettersatellit aus dem Weltraum nahezu in Echtzeit Wind-, Wolken- und Aerosolprofile entlang seiner Bahn zur Erde senden. Diese Profile werden in eine verbesserte Vorhersage zur Entwicklung des Wetters einfließen. Wissenschaftler der DLR-Institute für Physik der Atmosphäre und Methodik der Fernerkundung werden die Daten des Satelliten prozessieren.
Windigster Ort der Erde
Die arktische Polarregion um Island und Grönland ist die Wetterküche Europas. Dort, wo kalte Luftmassen aus polaren Regionen auf warme Luftmassen treffen, können sich kleine Anomalien zu ganzen Wettersystemen entwickeln. Berühmt sind die Islandtiefs, die hier entstehen. Zudem ist die Polarregion Grönlands von besonderem Interesse für die Klimaforschung aufgrund der ansteigenden Temperaturen in der Arktis und dem einhergehenden Rückgang des Polareises. „Bei der jetzigen Forschungsflugkampagne kalibrieren wir das neue Wind-Lidar über den grönländischen Eisflächen und testen dabei bereits unsere Algorithmen, damit später im Weltraum alles glatt läuft“, sagt Dr. Oliver Reitebuch vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre. „Speziell die Südspitze Grönlands ist als windigster Ort der Welt das perfekte Testgelände für unsere neue Windmesstechnik, die dort mit ausgeprägten Oberflächenjets und Starkwindbändern besonders gefordert ist.“
NASA und DLR fliegen gemeinsam
„Wir fliegen über das ewige Eis Grönlands in mehreren Runden pro Flugtag und haben dabei bereits für Vergleichsdaten eine auf 3200 Metern gelegene Gipfelstation unserer amerikanischen Forschungskollegen angesteuert“, sagt DLR-Testpilot Philipp Weber. Von Island aus plant die Crew der Falcon jeweils einen Tankstopp im Grönländischen Kangerlussuaq ein, um anschließend zwei Stunden über Grönland zu kreisen. Insgesamt sind rund zehn Testflüge über Grönland geplant, die größtenteils koordiniert mit dem Forschungsflugzeug DC-8 der NASA stattfinden. Daten der NASA-DC-8 und der DLR-Falcon werden miteinander verglichen. An Bord der DC-8 kommen sowohl zwei Lidar-Instrumente zum Einsatz, als auch Messsonden, die aus dem Flugzeug über einen Schacht ausgeworfen werden.
Gestreutes Licht macht Windfelder sichtbar
Die großen Windfelder über den Ozeanen werden derzeit noch optisch von Wettersatelliten über die Verfolgung der Wolkenbewegungen erfasst oder indirekt mittels Radar vermessen, die die Wellenbewegung auf der Meeresoberfläche wiedergeben. „Die Wind-Lidar-Messungen erlauben es uns zukünftig, direkt die Windgeschwindigkeiten vom Boden bis in 20 Kilometer Höhe mit deutlich höherer Präzision zu messen. Höhenabhängig erreichen wir dabei eine Auflösung von 500 bis 1000 Metern“, erklärt Dr. Oliver Reitebuch. „Für die Messungen nutzen wir den Dopplereffekt, den viele Menschen vom Martinshorn eines Krankenwagens her kennen.“ Kommt der Wagen auf einen zu, klingt der Sirenenton durch den Dopplereffekt höher, denn die Wellenlänge des Schalls ist etwas verkürzt. Entfernt sich der Wagen nach der Vorbeifahrt, klingt der Sirenenton plötzlich tiefer, denn die Schallwellen werden in die Länge gezogen. „Beim Doppler-Lidar ist es ähnlich: Wir schicken Laserlicht einer genau bestimmten Wellenlänge in ein Windfeld hinein. Je nach Bewegung des Windfeldes wird das Licht mit einer nur minimal veränderten Wellenlänge zurückgestreut. Daraus bestimmen wir die entsprechende Windgeschwindigkeit“, so Reitebuch weiter. Mit dieser Technik sind die DLR-Forscher in der Lage, die gerade einmal zehn Milliardstel kleinen Wellenlängenänderungen exakt zu erfassen.
Kleine Anomalien mit großer Wetterwirkung
Neben der Erprobung des Wind-Lidars über Grönland sammeln die DLR-Atmosphärenforscher bereits Daten zur Entstehung und Entwicklung von Islandtiefs. Die Forscher wollen besser verstehen, wie sich aus kleinen Anomalien über Island, Grönland und dem Nordatlantik in kurzer Zeit die weitläufigen Tiefdrucksysteme bilden. „Von Island aus können wir Messungen in Starkwindbändern über dem Nordatlantik durchführen. Die genaue Kenntnis der Windverteilung ist hier besonders wichtig, da fehlende Windinformationen besonders schnell zu Fehlern in Wettervorhersagemodellen führen“, erläutert Reitebuch. „Diese Fehler beeinflussen eine exakte Vorhersage der Entwicklung von Tiefdruckgebieten, die häufig in Richtung Europa ziehen und durch hohe Windgeschwindigkeiten und starke Niederschläge eine besondere Bedeutung für unser alltägliches Leben haben.“
Über die Mission
Die DLR-Forschungsflugkampagne ADM (Atmospheric Dynamics Mission) über Island und Grönland ist ein Beitrag des DLR zur ESA-Mission ADM-Aeolus. Beteiligt sind das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre, die DLR-Flugexperimente, die europäische Raumfahrtagentur ESA, und die Universität Leeds, die für diese Mission ein Wind-Lidar auf der grönländischen Gipfelstation für Vergleichsmessungen am Boden installiert hat. Zudem wird diese Mission in Kooperation mit der NASA durchgeführt. Weltweit erstmalig kommen dabei gleichzeitig vier Wind-Lidar-Instrumente auf zwei Flugzeugen zum Einsatz.
Foto: Carstino Delmonte