Seien wir mal ehrlich: Irgendwie löst der Anblick zweier MP3-zugestöpselter Ohren manchmal fast Mitleid aus. Von ästhetischem Gesamterlebnis keine Spur. Wäre es da nicht viel cooler, einfach das Feuerzeug oder die Puderdose anzuklicken – und heraus käme der neueste Lady-Gaga-Song?
Sainte Croix/ Waadt, CH – Mit solchen Mini-Musikdosen, natürlich eher mit Gassenhauern bespielt, beeindruckten schon unsere Urgroßeltern ihre Umwelt. Allerdings wurden die klitzekleinen Walzen und Stimmkämme, die diese Klänge erzeugten, vorrangig in Taschenuhren eingesetzt. Das war im 18. Jahrhundert. Und wer hat’s erfunden? Richtig. Wo sonst konnte dieses Gewerbe besser erblühen als in der Westschweiz, der Heimat des Uhrmacherhandwerks.
Eine knappe Stunde von Lausanne entfernt liegt auf tausend Metern Höhe das Städtchen Sainte Croix. Hier befindet sich das internationale Zentrum der Spieldosen- und Musikautomaten-Produktion. Herzstück ist das Museum CIMA, dessen Leiter, Theodor Hatt, nichts lieber tut, als verschmitzt lächelnd „seine“ Spieldosen in Gang zu setzen: Da klappern auf Knopfdruck die Stricknadeln einer 120 Jahre alten Automaten-Oma oder tönen beschwingte Klänge aus der voluminösen Tanzmusikmaschine, die eine komplette Kapelle ersetzt.
Selbst Mozart bediente sich dieser Technik: Zwei „Orgelwerke für einen Musikautomaten“ schrieb er, die, so Theodor Hatt, am Originalinstrument vierhändig und enorm schwierig zu spielen sind. Aber eben nicht für eine Walze.
Der ehemalige Informatiker erklärt die Mechanik, erzählt von Goupieusen und Plumeusen, was nichts Anrüchiges ist, sondern schlicht die Bezeichnung für Manufakturmitarbeiterinnen, die in der Blütezeit der Musikdosen die Feinarbeiten erledigten – für 50 Rappen die Stunde. Ein Jahreslohn ging drauf, wollten die Arbeiterinnen selbst eine der schönen Spieluhren besitzen. Auch heute legt man für die billigste knapp 150 Euro hin.
Drunten durchs Tal, das Vallée de Joux, zieht sich die Uhrmacherstraße, gepflastert mit edlen Namen: Piguet, Patek Philippe und und und. Da kann selbst Batman nicht widerstehen: Im Kinohit „The Dark Knight“ trug er eine Reverso von Jaeger-LeCoultre.
Aber auch für wenig bis gar kein Geld kann man im waadtländischen Jura glücklich werden: Allein das Alpenpanorama, wie es sich bei Ste. Croix vom „Balcon du Jura“ aus präsentiert, kriegt man so komplett und überwältigend selten zu sehen. Nach einer Wanderung empfiehlt es sich, im Thermalbad von Yverdon-les-Bains zu relaxen oder vor dem Denkmal des innovativen Pädagogen Johann-Heinrich Pestalozzi, der hier lehrte und nach dem auch der Platz benannt wurde, einen Schümli zu genießen. Am Abend lassen ein leichter Chasselas (Gutedel) von den Weinbergen des benachbarten Genfer Sees und ein Vacherin-Käse, der auf der Zunge zergeht, die Zeit endgültig vergessen. Wer braucht da schon eine Tausend-Franken-Uhr am Handgelenk.
Cornelia Raupach