„Nicht der Zollstock regiert, dafür spricht das Gefühl“
Berlin – Wenn die Bahnkunden das Sagen hätten, würde Leipzig im Jahr 2012 noch einmal den Titel „Bahnhof des Jahres“ gewinnen. Der prachtvolle sächsische Kopfbahnhof liegt zur Halbzeit der Nominierungsphase in der Gunst der Reisenden auf dem ersten Platz. Auch andere Siegerbahnhöfe, die den Jury-Preis für höchste Kundenfreundlichkeit schon einmal gewonnen hatten, rangieren im Bürger-Ranking unter den Top Ten der deutschen Großstadt-Bahnhöfe: Mit zum Teil langen Empfehlungsschreiben an die Adresse der Jury qualifizierten die Einsender die Hauptbahnhöfe von Hannover, Berlin und Mannheim erneut als Favoriten des Wettbewerbs. Noch ohne den Ritterschlag der Jury aber bei den Einsendern hoch geschätzt platzierten sich auch die Großstadtbahnhöfe Stuttgart, Köln und Frankfurt am Main auf den vorderen Rängen der Beliebtheitsskala.
Nürnberg, Hamburg und Dresden wären nach dem heutigen Zwischenstand ebenfalls dabei, wenn die Jury den zehn Bestplatzierten vor der Siegerkür einen Besuch abstattet – natürlich unangemeldet und incognito. Das Ranking der beliebtesten deutschen Großstadtbahnhöfe ergibt sich aus 1136 Einsendungen (Stand: 19. Mai), die Bahnkunden im Rahmen des Wettbewerbs „Bahnhof des Jahres“ seit April an die Allianz pro Schiene geschickt haben.
Auch kleine Bahnhöfe haben große Fans: Auf Platz eins bei den Top Ten der deutschen Kleinstadtbahnhöfe – das sind Städte mit unter 100.000 Einwohnern – liegt das oberbayerische Wasserburg, gefolgt von dem sächsischen Bad Schandau und dem brandenburgischen Falkenberg an der Elster. Alle drei Bahnhöfe haben vor Ort sehr rührige Unterstützerkreise, die ihre Fans zu Nominierungen anregen. Gleichauf mit Falkenberg liegt das bayerische Lindau (21 Nominierungen). Das Städtchen am Bodensee hat seinen vierten Platz im Ranking wohl der poltischen Debatte um den Umbau des Bahnhofs zu verdanken, während das ebenfalls in Bayern gelegene Aschaffenburg (14 Nominierungen) die Gunst der Reisenden mit einer Rundum-Modernisierung gewonnen hat.
„Das Ranking der Kleinstadt-Bahnhöfe ist für uns besonders ermutigend“, sagte Jury-Mitglied Flege, „denn leider ist die Mehrheit besonders der kleinen Bahnhöfe in Deutschland in einem unbefriedigenden Zustand.“ Dennoch seien insgesamt nur sechs Prozent der Einsendungen negativ. „Uns schreiben weniger die Nörgler, aber häufiger Menschen, die ihren vernachlässigten Bahnhof mit beißender Ironie empfehlen. Solche Briefe werten wir eher als Hilferuf“, sagte Jury-Mitglied Flege. „Insgesamt sind die Briefe der Bahnkunden ein Beleg, dass die Menschen hochemotional an ihre Bahnhöfe rangehen. Hier spricht nicht der Zollstock, sondern es regiert das Gefühl.“
Zum zweiten Mal in der neunjährigen Geschichte des Wettbewerbs waren auch Privatpersonen aufgerufen, ihren Lieblingsbahnhof zu nominieren. Die Einsender machten von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch: Von insgesamt 5400 deutschen Bahnhöfen schafften es 41 Großstadtbahnhöfe und 16 Kleinstadtbahnhöfe mit jeweils mehr als drei Einsendungen auf die Exzellenz-Liste der Allianz pro Schiene. Häufig begründeten die Einsender ihr Votum sehr ausführlich. Nicht in allen Bundesländern ist das Engagement der Bahnreisenden für ihre Bahnhöfe gleich groß. Von rund 1136 Einsendern kamen die meisten aus Bayern (201), Baden-Württemberg (184), Nordrhein-Westfalen (153) und Sachsen (121).
Bei der Zahl der pro Bundesland insgesamt nominierten Bahnhöfe liegt Nordrhein-Westfalen mit 51 von den Reisenden nominierten Bahnhöfen vor Bayern (39) und Niedersachen (30).
Erstmals vergibt die Allianz pro Schiene neben dem Titel Bahnhof des Jahres für einen Groß- und einen Kleinstadtbahnhof auch den Sonderpreis Tourismus. „Fahrtziel Natur“ hat dafür die Bahnhöfe Bad Schandau und Chorin nominiert. Die NaturFreunde befragen zur Zeit ihre Mitglieder, um herauszufinden, welcher Bahnhof in Deutschland gastfreundlich und naturnah zugleich ist.
Bürger-Einsendungen für den Wettbewerb nimmt die Allianz pro Schiene noch bis zum 30. Juni 2012 entgegen. Reisende, die für ihren Bahnhof mit Unterschriftenlisten werben oder den Bürgermeister zum Aufruf in der Lokalpresse animieren, sind ebenso willkommen, wie gut begründete Einzelnominierungen.