Ausstiegskosten „Stuttgart 21“ – Informationen, die in der Debatte bislang fehlen


19 Okt 2010 [16:04h]     Bookmark and Share




Der von Projektgegnern und in zahlreichen Medien geäußerte Verdacht, dass von „Stuttgart 21“ nur wenige etwas haben, aber viele dafür zahlen, wird durch neue Informationen des Netzwerks Privatbahnen erhärtet

Beerlin – Der von Projektgegnern und in zahlreichen Medien geäußerte Verdacht, dass von „Stuttgart 21“ nur wenige etwas haben, aber viele dafür zahlen, wird durch neue Informationen des Netzwerks Privatbahnen erhärtet: Zum kleinen Kreis der Nutznießer zählen die verhältnismäßig wenigen Fernverkehrsfahrgäste, die die „transeuröpäische Achse Paris– Bratislava“ heute nutzen, einige Bauunternehmen, die von der Deutschen Bahn AG Aufträge rund um das Projekt erhalten haben, und nicht zuletzt die Deutsche Bahn AG selbst.

Bei einem Blick auf die blanken Zahlen bestätigt sich die Befürchtung, dass die Deutsche Bahn AG zu den Hauptprofiteuren dieses Projekts gehört. Die Deutsche Bahn AG hat bereits jetzt knapp 460 Mio. € aus Grundstücksverkäufen an die Stadt Stuttgart und weitere 125 Mio. € aus Grundstücksverkäufen an andere Käufer erhalten – insgesamt also bereits 585 Mio. € Erlöse aus Grundstücksveräußerungen. Bei den Neubaumaßnahmen erhält die DB Netz AG außerdem eine Planungskostenpauschale von bis zu 23 %, die deutlich über der sonst für öffentliche Aufträge üblichen Planungskostenpauschale nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) liegt, die auf 10 % der Gesamtkosten gedeckelt ist. Bei den von der Deutschen Bahn AG momentan selbst angenommenen Gesamtkosten in Höhe von 4,1 Mrd. € (ohne die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm) wären das allein stolze 940 Mio. € an Planungskosten, die zu einem

guten Teil an die eigene Tochter DB Projektbau fließen. Wird die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm mit einbezogen (geschätzte Baukosten derzeit: 2,8 Mrd. €), steigen die Einnahmen der Deutschen Bahn AG nur aus Planungskosten auf 1,6 Mrd. €. Üblicherweise erfordern gerade die kleineren Bauprojekte verhältnismäßig viel Planungsaufwand. Bei Großprojekten gibt es hingegen das Phänomen der Planungskostendegression: Je teurer eine Maßnahme ist, desto geringer wird im Verhältnis der Anteil der Planungskosten. Bei der Deutschen Bahn AG und insbesondere bei „Stuttgart 21“ ist jedoch das Gegenteil zu
erkennen. Hier steigt die Planungskostenpauschale mit zunehmender Projektgröße immer weiter an.

„Wir fragen uns, warum dies so ist und einige Antworten scheinen auf der Hand zu liegen. Es ist doch selbstverständlich, dass die Bahntochter DB Projektbau ein hohes Eigeninteresse daran hat, am Ende des Tages Geld zu verdienen. Warum sollte die Deutsche Bahn AG darauf verzichten, möglichst viele neue Hochgeschwindigkeitsstrecken und Bahnhöfe zu bauen, an denen sie allein schon mit den Neuplanungskosten einen wesentlichen Beitrag zu ihrem EBIT erwirtschaften kann. Zahlen muss ja der Bund oder andere Dritte. Als Verband der privaten und kommunalen Güterbahnen sind wir immer auf der Seite derer, die die Bahninfastrukturen in Deutschland verbessern wollen. Das ist auch dringend nötig, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene bekommen wollen – egal ob im Güter- oder Personenverkehr.

Leider hilft uns „Stuttgart 21“ dabei keinen Schritt weiter, sondern zieht erhebliche Mittel ab, die anderswo wesentlich besser investiert wären. Das Projekt bringt dem Regionalverkehr wenig bis nichts und richtet im Güterverkehr Schaden an“, so
Alexander Kirfel, Geschäftsführer des Netzwerks Privatbahnen. Gestützt werden seine Aussagen durch die Investitionsengpässe, die von der Güterverkehrswirtschaft schon lange bemängelt werden. Die „Geislinger Steige“ – ein Steilstreckenabschnitt der heutigen Strecke Stuttgart–Ulm – hat bereits 2,4 % Neigung und kann deshalb von Güterzügen kaum wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden, weil diese mit einer separaten Lok nachgeschoben werden müssen und trotzdem nicht voll ausgeladen werden können. Die geplante Neubaustrecke Wendlingen–Ulm soll von Anfang an 3,5 %
Neigung bekommen und kann damit gar nicht von Güterzügen befahren werden. Gleichzeitig wird aber die wichtigste europäische Güterverkehrsmagistrale Niederlande– Duisburg–Köln–Mainz–Karlsruhe–Basel–Schweiz–Italien auf den Teilstrecken zwischen Oberhausen–Emmerich und Offenburg–Basel weiterhin nur zweigleisig bleiben. Das führt
dazu, dass in Deutschland der Schienengüterverkehr kollabiert, während die angrenzenden Länder wie die Niederlande oder die Schweiz ihre Schienennetze mit Milliardeninvestitionen fit für Zuwächse gemacht haben. Die lärmgeplagte Bevölkerung zwischen Bonn und Bingen wird zudem weiter leiden müssen, denn auch für Lärmschutzmaßnahmen ist durch „Stuttgart 21“ kein Geld mehr da.

Als irreführendes Argument, um in der Öffentlichkeit den Weiterbau zu rechtfertigen, bezeichnet Kirfel auch die Begründung der Deutschen Bahn AG, falls „Stuttgart 21“ nicht kommt, würde man 1,5 Mrd. € in die Sanierung der Gleisanlagen des Kopfbahnhofes Stuttgart stecken müssen. „Bei diesem Argument muss ich leider von dreister Irreführung sprechen, die zumindest die Grenze zur Lüge erreicht. In Wahrheit hat die DB Netz AG nach eigenen Aussagen im Vertrauen auf „Stuttgart 21“ schon seit zehn Jahren nichts mehr im Bereich Stuttgart Hauptbahnhof investiert. Wenn der Bau fortgeführt würde,
würde er mindestens weitere zehn Jahre dauern. In dieser Zeit muss aber zwingend im Bereich des alten Hauptbahnhofes investiert werden, denn Gleise, Weichen und Elektrik verschleißen.“ Eine Weiche hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 25 Jahren. Schienen und Schwellen halten 40 bis 60 Jahre. Wenn die Erhaltungsinvestitionen in den nächsten Jahren, die so oder so in einer Größenordnung von mehreren hundert Mio. € liegen dürften, nicht vorgenommen werden, muss bei immer mehr Gleisen die zulässige Geschwindigkeit weiter und weiter abgesenkt werden. Kirfel schließt mit der Befürchtung, dass „das vielleicht auch dramaturgisch so angedacht sein könnte. Kurz vor der Eröffnung von „Stuttgart 21“ kriechen dann die ICE- und IC-Züge über völlig marode Gleise und Weichen mit 10 km/h durch das Bahnhofsvorfeld. Die Fahrzeiten haben sich noch einmal um zehn Minuten verlängert. Es herrscht Endzeitstimmung und verheißungsvoll würde der Eröffnungstag von „Stuttgart 21“ herbeigesehnt.“ Das Netzwerk Privatbahnen meint dazu: Noch ist es nicht zu spät. Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierung Baden-Württemberg auf: Kehren Sie zurück zu einer rationalen Politik, im Interesse der Wirtschaft und der Bevölkerung.

Über das Netzwerk Privatbahnen:
Im Netzwerk Privatbahnen sind seit 2001 24 private und kommunale Güterbahnen aus ganz Europa zusammengeschlossen, wobei der Großteil der Mitgliedsbahnen in Deutschland ansässig ist. Dabei wird der Begriff „private Güterbahnen“ als Synonym für „Wettbewerbsbahnen“ benutzt: Diese Bahnen bekennen sich zu mehr Wettbewerb auf der Schiene und haben sich dazu entschieden, dieses volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch wichtige Ziel durch ihre Mitgliedschaft bei Netzwerk
Privatbahnen aktiv zu fördern.







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