Die Marktaustritte von Air Berlin und Alitalia, die allerdings aktuell weiter operiert und auch absehbar nicht vom Markt verschwinden wird, verschaffen den verbliebenen europäischen Passagierfluglinien keine Entlastung.
München – Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse Strategieberatung Oliver Wyman. Eine Konsolidierung wie im US-Markt bleibt aus, der Wettbewerb in Europa könnte sich sogar verschärfen, weil die Airlines ihre Kapazitäten stark ausbauen. So steigt die Flottengröße in Europa der Oliver Wyman-Analyse zufolge bis 2022 um rund 600 Maschinen. Der Wettbewerb zwischen den Billigfliegern wird weiter steigen und Premiumairlines wie Lufthansa oder Air France müssen vor allem ihre Kosten drücken, ihr Angebot stärker an Kundenbedürfnissen ausrichten und die Digitalisierung vorantreiben, wenn sie sich im europäischen Luftverkehrsmarkt weiter behaupten wollen.
So mancher europäischer Airline Chef dürfte dieser Tag sehnsüchtig nach Nordamerika blicken. Mit American Airlines, Delta Air Lines, Southwest Airlines und United Airlines kontrollieren dort nur vier Anbieter das Geschäft mit Passagierflügen innerhalb des Kontinents. Dem Quartett ist es gelungen, Angebot und Nachfrage so zu balancieren, dass die Luftverkehrsbranche nach Jahren der Verluste heute eine gesunde Profitabilität und einen hohen Innovationsgrad aufweist. Diesseits des Atlantiks können Airlines davon nur träumen. „Auf dem fragmentierten europäischen Markt herrscht nach wie vor eine hohe Wettbewerbsdynamik. Auch wenn es kurzfristig zu einer punktuellen Konsolidierung des Angebots kommen kann, rechnen wir mittelfristig mit einem anhaltend hohen Preisdruck“, sagt Björn Maul, Partner bei Oliver Wyman.
Was die Fluggäste freut, stellt die Fluglinien vor neue Herausforderungen: Nach einer aktuellen Analyse von Oliver Wyman bleibt eine Konsolidierung nach amerikanischem Vorbild aus. „Auch die jüngsten Insolvenzen von Air Berlin und Alitalia ändern nichts am hohen Wettbewerbsdruck“, sagt Maul. Zwar werden sich nach der Pleite von Air Berlin Marktanteile zugunsten der Lufthansa-Tochter Eurowings sowie Easyjet verschieben – die Unternehmen wollen jeweils Teile der Air-Berlin-Flotte übernehmen und vor allem in Berlin, Düsseldorf, Stuttgart und Hamburg wachsen. „Dieser Schritt ist aber bestenfalls eine Teilkonsolidierung ohne größere Auswirkung auf den Wettbewerb“, erläutert Maul.
Kapazität wächst stärker als das Passagieraufkommen
Über 40 Fluglinien werben aktuell in Europa um Passagiere im innereuropäischen Geschäft. Vor allem die Billigflieger setzen auf Expansion durch Flottenausbau, was die Konkurrenzsituation verschärft. Laut Oliver Wyman-Analyse werden die Airlines in Europa bis 2022 ihre Flotten um 600 Flugzeuge auf dann 5700 Stück erweitern – ein Plus von 12 Prozent. „600 zusätzliche Flugzeuge – das wäre etwa die doppelte Größe der Flotte, die der Low-Cost-Carrier Easyjet aktuell in der Luft hat“, sagt Maul.
„Die neuen Flugzeuge sind im Schnitt größer als die aktuellen Maschinen, damit steigt die Gesamtkapazität noch stärker – aktuell schätzen wir die Steigerung bis 2022 auf etwa 25 Prozent“, sagt Maul. „Das Luftfahrtgeschäft in Europa ist von Marktirrationalitäten geprägt, denn dem Aufbau der Kapazitäten von 4,9 Prozent pro Jahr steht laut ICAO nur ein Nachfragewachstum von 2,5 Prozent jährlich gegenüber.“ Diese Differenz wird den Preisdruck erhöhen.
Billigflieger streben in die Zentren
Speziell an großen deutschen Flughäfen erwartet Maul verschärfte Konkurrenz. In Berlin und Düsseldorf etwa besetzte Air Berlin Mitte 2017 im innereuropäischen Verkehr noch Angebotsanteile von 49 beziehungsweise 35 Prozent und hielt dabei attraktive Start- und Landerechte. „Die neu vergebenen Air-Berlin-Kapazitäten werden zu einer Umverteilung des Angebots hin zu einer noch stärkeren Präsenz von Billigflug-Anbietern in den deutschen Zentren führen“, sagt Maul. Das entspricht einem generellen Trend: Billigflug-Anbieter orientieren sich hin zu den größeren Flughäfen, wo der Zugang zu Start- und Landerechten strategisch wichtig ist.
Aktuell sieht Luftfahrtexperte Maul reine Billiganbieter wie Ryanair und Easyjet, die ihren Umsatz zwischen 2013 und 2016 um durchschnittlich zehn beziehungsweise drei Prozent pro Jahr steigern konnten, im Vorteil gegenüber Netzwerk-Carriern mit Low-Cost-Töchtern wie Lufthansa, Air France-KLM oder IAG. „Die reinen Low-Cost-Carrier haben Vorteile bei der Kostenstruktur und zeigen eine höhere Geschwindigkeit bei Produktinnovationen“, so Maul. „Allerdings kämpfen sie zunehmend mit Knappheit beim Flug- und technischem Personal. Das könnte die geplanten Flottenexpansionen und -modernisierungen erschweren.“
Weitere Übernahmen und Zusammenschlüsse sind laut Maul in den nächsten Jahren wahrscheinlich. „Diese Konsolidierung wird sich allerdings auch in Zukunft deutlich langsamer vollziehen als in Nordamerika“, sagt Maul und verweist auf die dort entspanntere Situation: „In Nordamerika sehen wir deutlich moderatere Wachstumsraten.“ Das zeige sich auch an der Zahl der Flugzeug-Neubestellungen für den Passagierflugverkehr innerhalb des Kontinents. Die Experten von Oliver Wyman erwarten etwa 230 zusätzliche Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge bis 2022. Das entspricht einem Zuwachs von gerade einmal 3,5 Prozent – deutlich gemäßigter als in Europa.