Interview mit Anja Müller, Director of European Operations bei Adagio
München – Die ursprüngliche Idee von Adagio war es, ein Konzept für die Bedürfnisse von Langzeitreisenden anzubieten. Aus ursprünglich 16 Aparthotels in zwei Ländern ist heute ein stark wachsendes Unternehmen geworden, das zum Ziel hat, sowohl in Europa als auch im Mittleren Osten und in Lateinamerika vertreten zu sein. „Wir streben den Ausbau des Adagio-Netzwerks auf insgesamt 150 Aparthotels mit 15.000 Apartments bis 2020 an“, erklärt Anja Müller, die seit 2017 als Director of European Operations den Geschäftsbereich Europa leitet. Im Interview erklärt sie, weshalb Adagio immer mehr vom klassischen Hotel-Konzept abkommt, warum sich die Anforderungen an das Personal ändern und wie sie das Aparthotel der Zukunft sieht.
Wie kam es zur Idee, eine Kette für Aparthotels zu gründen?
Unsere Eigentümer, AccorHotels und Pierre & Vacances Center Parcs haben frühzeitig erkannt, dass Aparthotellerie ein zukunftsträchtiger Markt ist. Daher hat man sich vor zehn Jahren zusammengeschlossen, um ein Joint Venture zu gründen. Menschen müssen häufiger reisen, länger an einem Ort bleiben, manchmal weit weg von ihrem Zuhause. Der Bedarf an einem Produkt mit mehr Platz und größerer Privatsphäre, aber auch Kochmöglichkeiten war damals bereits vorhanden und ist seither ständig gewachsen.
Lassen sich Aparthotels damals und heute überhaupt noch vergleichen?
Kaum mehr. Wir haben von Beginn an versucht, unser Produkt zu verbessern, wollten niemals Stillstand. Wir folgen privaten Haushaltstrends und passen uns entsprechend an. Wir haben zum Beispiel die Qualität der Betten stetig optimiert. Ein anderer Bereich ist die Technik. Heutzutage hat man als Geschäftsreisender mindestens drei elektronische Geräte mit sich, die allesamt eine schnelle Verbindung brauchen. Bei den Trends geht es übrigens genauso um die öffentlichen Bereiche. Hier rücken wir mehr und mehr vom klassischen Hotel-Konzept ab.
Also weg von der Rezeptions-Theke?
Zum Beispiel. Das Herzstück unserer Häuser sollen offene Bereiche bilden. Wir werden in Deutschland ab kommendem Jahr die Rezeptionen peu à peu entfernen, alle Mitarbeiter werden langfristig „Hosts“, die Adagio-Gäste in der Lounge in Empfang nehmen. Zur Neuausrichtung des Begrüßungsbereichs kommen Gemeinschaftsküchen und Co-working-Spaces. Die „Bibliothek der Dinge“ lädt Gäste ein, ihr Apartment nach persönlichen Wünschen mit Kissen, Körben oder Kerzen zu dekorieren und sich „zu Hause“ zu fühlen. Das Konzept ist übrigens Ergebnis vieler Gästeumfragen.
Die Anforderungen für das Personal-Konzept ändern sich demnach auch?
Das stimmt. Unser Langzeitgast braucht nicht unbedingt den klassischen Rezeptionisten. Er möchte einen Partner, mit dem er auch mal reden kann, der ihm Tipps gibt, wenn er drei Monate in einer fremden Stadt ist. Unsere Mitarbeiter sollten also kulturell offen und mehrsprachig sein, Europa lieben und leben. Wir arbeiten für sie auch gerade ein Philosophietraining aus. Künftig wird es übrigens nicht mehr unbedingt notwendig sein, eine Ausbildung im Hotelgewerbe zu haben. Systeme zum Check-In und -Out müssen die Kolleginnen und Kollegen aber natürlich schon kennen.
Spiegelt sich die Neuausrichtung auch im F&B-Bereich wieder?
Allerdings. Der Gast möchte so beweglich wie nur möglich sein. Also brauchen wir statt fester Frühstückszeiten flexible Angebote. Daher bieten wir „Coffee to go“ an, künftig sogar aus hauseigenen Coffee-Shops. Müsli oder Brötchen kann der Gast weiterhin vom Frühstücksbuffet holen und gerne mit auf sein Zimmer nehmen, um dort zu essen. Oder er bestellt sich im Vorfeld Lebensmittel in seinen Kühlschrank – auch ein Trend, den wir aufnehmen. Außerdem arbeiten wir daran, mit „Shops@Adagio“ eine Art Minimarket zu implementieren. Im ersten Quartal 2018 werden die ersten Märkte in den Aparthotels eröffnen.
Langzeitgäste benötigen auch Reinigungsservice…
…und zwar nicht nur fürs Apartment, sondern auch für ihre Kleidung. Das wollen wir künftig genauso eingliedern wie einen Bügelservice. Denkbar wäre auch eine Poststelle für Päckchen. Sie sehen, wir haben unterschiedlichste Gedanken, sicher ist jetzt schon: Wir wollen dem Langzeitgast möglichst guten und innovativen Service bieten.
Worüber freuen sich Ihre Businessgäste am meisten?
Während der normale Hotelgast unerkannt bleiben möchte, spielen beim Langzeitgast Emotionen eine bedeutendere Rolle. Er ist wesentlich länger von zuhause weg, von seiner Familie getrennt. Daher wollen wir ihm das Gefühl geben, wir sind sein Wohnzimmer, er darf sich jederzeit bei uns aufhalten und wir reden gern mit ihm. Wir stellen sogar kleine Geschenke aufs Zimmer, wenn wir wissen, was er besonders gerne mag. Der Langzeitgast schätzt die Aufmerksamkeit wirklich sehr.
Spielen denn Familien für Adagio eine Rolle?
Sie sind definitiv eine wichtige Zielgruppe. Dies bedeutet für uns im Umkehrschluss, dass wir auch entsprechende Services anbieten müssen, vor allem für Kinder. Sind sie zufrieden, fühlt sich die ganze Familie wohl. Neben speziellen Willkommens-Paketen wird es künftig eine Gaming-Zone im öffentlichen Bereich geben.
Ihr Motto lautet „länger bleiben – weniger zahlen“. Genügt das auch in Zukunft?
Nicht mehr ausschließlich, eine normale Ratengestaltung ist heute nicht mehr innovativ genug. Wir müssen noch flexibler werden. Simples Beispiel: Als Apartment-Brand haben wir uns in der Vergangenheit nie wirklich über das Thema Frühstück Gedanken gemacht. Wir haben mit Standards, ähnlich wie im Hotel, gearbeitet. Unsere Raten haben wir jedoch immer ohne Frühstück verkauft, was sehr schwierig zu managen ist. Wir wussten nie, wie viele Gäste wirklich erscheinen.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Seit Anfang 2017 haben wir eine neue Rate, die es erlaubt, dass Gäste auch online mit Frühstück buchen können. Das hört sich jetzt simpel an und ist bei Hotels die Norm, bei Aparthotels jedoch nicht. Das war eine kleine Revolution und kam von Anfang an bestens an. Wir haben so viele Frühstücke wie noch nie verkauft, können aber wesentlich besser planen. Momentan denken wir auch über eine Frühbucherrate nach.
Beschränken sich Ihre Zielgruppen eigentlich auf Longstay-Gäste und Familien?
Ganz stark vertreten sind auch Berufsein- und Umsteiger. Wir arbeiten mit Relocation-Agenturen zusammen, die sich darauf spezialisiert haben, die Umzüge neuer Mitarbeiter zu organisieren – von der Anmeldung in der Stadt bis zur vorübergehenden Unterkunft. Daher ist das eine wichtige Zielgruppe für uns. Manche Gäste kommen auch unfreiwillig…
Wie meinen Sie das?
Wir hatten in München zum Beispiel schon Familien, die in ihrer Wohnanlage einen Wasserrohrbruch hatten und fast zwei Jahre bei uns zu Gast waren.
In welchen Ländern gibt es Aufholbedarf?
Zunächst haben wir definitiv noch genug Raum in Deutschland. Schwerpunkte sollen darüber hinaus die wichtigsten Städte in Europa wie auch im Mittleren Osten und in Lateinamerika werden. 20 Eröffnungen, unter anderem in Deutschland und Großbritannien, sind bereits geplant.
Adagio 2028 – wie wird es aussehen?
Zunächst einmal wollen wir weiter wachsen, vor allem in unseren Keymärkten Deutschland, Frankreich und Schottland. Wir möchten in diesem Segment Marktführer bleiben. Wir wollen weg vom Hotelservice-Gedanken und eine echte Alternative bieten zu einem normalen Hotelprodukt, aber auch zu privaten Anbietern wie AirBnB. Diese werben mit Sicherheit um das gleiche Klientel wie wir. Deshalb müssen wir innovativ und kreativ vorangehen, damit wir auch in mehr als zehn Jahren noch gut dastehen.
Anja Müller leitet seit 2017 als Director of European Operations den Geschäftsbereich Europa der Aparthotels Adagio®, dem europäischen Marktführer für Serviced Apartments. Sie ist in der Unternehmenszentrale in Paris tätig.
Anja Müller bringt über 20 Jahre Erfahrung in der Hotel- und Tourismusindustrie in die neue Tätigkeit ein. Als eine der Directors Hotel Operations Europa war sie mitverantwortlich für das Europageschäft der InterContinental Hotels Group. Zuvor leitete sie das Holiday Inn Open Lobby Programm mit Fokus auf Brand Management und Marketing. Von 2012 bis 2015 war sie Director Hotel Performance Support Central- North and East Europe und in dieser Position verantwortlich für die Hotels aller Marken der InterContinental Hotels Group.