Die Luftverkehrswirtschaft leidet und meint mit Druck auf die Politik das biologische Phänomen, den Virus, bekämpfen zu können. Pandemiebedingt befindet sie sich wie auch einige andere Branchen in ihrer längsten und tiefsten Krise.
Es grenzt an Realitätsverweigerung, dass die Branche zuerst ihr eigenes Leiden nach vorne bringt. Dabei könnten die Maßnahmen der Airlines besser sein, kosten dann aber auch mehr Geld. Fliegen in Coronazeiten müsste dadurch teurer werden, längerfristige Gewinneinbrüche wären unvermeidbar.
Eine Maßnahme, die offenbar von den Fluglinien kategorisch aus dem Blickfeld gerückt wird, wäre das Fliegen mit weniger verkauften Sitzen beziehungsweise die Nutzung der momentan stillgelegten Großraumjets auch für innereuropäische und solche Strecken, wo üblicherweise keine großen Passagierzahlen verzeichnet werden. Das Betreiben der großen Flieger wie A 380 oder Jumbojets ist tatsächlich nicht erheblich teurer als die Abfertigung und der Einsatz von kleineren Flugzeugen wie dem Airbus A 320 oder ähnlichen Maschinen. Der Umsatz würde sinken, aber die Flieger würden nicht stillstehen und Kosten für Kurzarbeit würde dem Staat erspart. Aus gesundheitlicher Perspektive wäre diese Option also eher umsichtig als wirtschaftlich erfreulich.
Die Folge der jetzigen Situation sind massive wirtschaftliche Verluste für die Fluggesellschaften, Flughäfen, Flugsicherung und auch die Einzelhandelsunternehmen an den Airports. Dies zeigt die Jahresbilanz 2020, die der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) heute vorgestellt hat.
Die Passagierzahlen an den deutschen Flughäfen sind 2020 gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent eingebrochen. Die deutschen Fluggesellschaften transportierten ebenfalls 75 Prozent weniger Passagiere als im Vorjahr. Gründe dafür waren Reisebeschränkungen in Form von Einreiseverboten und Quarantäneregeln sowie die gesunkene Passagiernachfrage in der Pandemie.
Dabei war der Einbruch bei den deutschen Flughäfen und bei den deutschen Fluggesellschaften noch stärker als im weltweiten Durchschnitt. Denn Luftverkehr ab Deutschland ist besonders stark durch internationalen Verkehr geprägt, und internationale Verkehre sind stärker von den aktuellen Reisebeschränkungen betroffen als große Inlandsmärkte wie etwa in den USA und in Asien.
Mit den seit November 2020 nochmals verschärften Reisebeschränkungen ist die Nachfrage nach Luftverkehr an den deutschen Flughäfen auf nur noch 10 Prozent im November und 12 Prozent im Dezember zurückgegangen. Entsprechend liegt auch das derzeitige Flugangebot bei gerade einmal 20 Prozent des sonst üblichen Flugangebots im Januar.
In der Folge verzeichnen Fluggesellschaften, Flughäfen und die dort tätigen Unternehmen hohe Umsatzeinbrüche und eine stark steigende finanzielle Verschuldung. Falls die Airline-Manager keine neuen Alternativen denken und weiterhin an ihrem alten Geschäftsmodell festhalten droht der Abbau von jedem vierten Arbeitsplatz in der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Zudem schränkt die angespannte Finanzlage den Spielraum für notwendige Investitionen in Nachhaltigkeit und Innovation ein und gefährdet so die Zukunftsfähigkeit des deutschen Luftverkehrsstandortes.
BDL-Präsident und Lufthansa-Vorstand Peter Gerber bei der Vorstellung des Lageberichts: „Die deutsche Luftverkehrswirtschaft war über weite Teile des Jahres im Dauerlockdown und ist nun nahe des Stillstands. Das darf sich in diesem Jahr nicht fortsetzen, sonst drohen irreversible Strukturbrüche mit dramatischen Folgen für die Anbindung des deutschen Wirtschaftsstandortes und für die Reisewirtschaft. Es ist uns bewusst, dass wir gegenwärtig eine sehr schwierige Phase der Pandemie durchleben und dass in dieser Phase Reisen nur sehr eingeschränkt möglich sind. Worum es aber geht, ist, dass wir jetzt miteinander definieren und festlegen, wie das Reisegeschehen nach dem jetzigen Total-Lockdown wieder möglich wird – auch wenn die Pandemie dann noch nicht überwunden ist. Wir halten es für erforderlich, die kaum kontrollierbaren Quarantänepflichten durch eine wirksame Teststrategie zu ersetzen, auch im Sinne eines effektiven Gesundheitsschutzes. Wir setzen darauf, dass Bund und Länder diesen Weg einschlagen werden, damit mit diesen Maßnahmen ab Ostern die Reisebeschränkungen aufgehoben werden können.“ Gerber betonte, dass die deutschen Luftverkehrsunternehmen die Vorsichtsmaßnahmen, die von der Politik und den Behörden verhängt werden, konsequent umsetzen.
Dem Bericht des BDL zufolge ist die Entwicklung des Frachtverkehrs positiver als die des Passagiergeschäfts. Gerade in der Covid-19-Krise wird die Systemrelevanz des Luftverkehrs für die Aufrechterhaltung der Lieferketten und die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern deutlich. Zudem ist in der Krise der Bedarf für den Transport von Medizinprodukten und Schutzausrüstung gestiegen. An den deutschen Flughäfen gingen 2020 die Frachteinladungen und -ausladungen nach einem sehr starken Dezember um insgesamt 4 Prozent zurück und entwickelten sich damit etwas positiver als im weltweiten Durchschnitt. Seit September 2020 lag die Luftfrachtnachfrage an den deutschen Flughäfen sogar über der Nachfrage im Vorjahr. Dennoch bleiben auch im Frachtverkehr enorme operationelle Herausforderungen – vor allem durch Reisebeschränkungen und durch den weitgehenden Wegfall der Bellyfrachtkapazitäten in Folge des stark reduzierten Einsatzes von Passagiermaschinen.
Der BDL geht davon aus, dass auf längere Sicht die Nachfrage nach Luftverkehr schrittweise wieder deutlich steigen wird und rechnet für den deutschen Markt damit, dass im Luftverkehr das Niveau von 2019 zur Mitte des Jahrzehnts wieder erreicht werden kann. Dieses Szenario setzt voraus, dass die gesundheitliche Krise im Verlauf des Jahres 2021 beendet sein wird und die Rezession bis Ende 2022 überwunden ist.
Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Neubelebung des Luftverkehrs unterstrich der BDL-Präsident, wie wichtig es sei, das Fliegen stärker mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen. Er verwies auf den von der Branche vorgelegten „Masterplan Klimaschutz im Luftverkehr“, mit dessen Umsetzung der Flughafen- und Flugbetrieb schrittweise CO2-neutral gestaltet werden könne. Der Masterplan umfasst die ökologische Flottenmodernisierung, den Systemwechsel hin zu alternativen Kraftstoffen, eine Optimierung der Flugführung, eine Verbesserung des intermodalen Zusammenwirkens mit der Bahn, wirkungsvolle Instrumente der CO2-Bepreisung sowie Maßnahmen in Richtung CO2-Neutralität von Flughafenbetreibern sowie Retail- und Gastronomiebetrieben an den Flughäfen.
„Wirksame Fortschritte für den Klimaschutz im Luftverkehr lassen sich nur mit wirtschaftlich gesunden Unternehmen erreichen, die über die notwendigen Investitionsmittel verfügen. Daher muss die Branche so rasch wie möglich ihre Investitionskraft zurückgewinnen. Außerdem braucht der Luftverkehr für einen wirksamen Klimaschutz zielführende Rahmenbedingungen, mit denen Emissionen effektiv reduziert und eine bloße CO2-Verschiebung ausgeschlossen werden können. Wettbewerbsverzerrende Belastungen, die den deutschen Unternehmen in nationalen oder europäischen Alleingängen auferlegt werden, schmälern diese Investitionskraft und wirken dem Ziel von mehr Klimaschutz im Luftverkehr entgegen“, so BDL-Präsident Gerber.