Dieses Interview sorgte verständlicherweise bundesweit für Empörung: Am 24. Juli warf Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, der gerade erst vom Staat geretteten Lufthansa vor, ihren Kunden das Geld für ausgefallene Flüge vorsätzlich nicht zurückzuzahlen. Im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ rechnete Deutschlands oberster Verbraucherschützer vor, im Juni seien „Flugtickets im Wert von vier Milliarden Euro noch nicht erstattet“ gewesen.
München – Ein Reise-Portalanbieter ist dem nachgegangen und hat angeblich in einer einfachen und nicht repräsentativen Blitzumfrage einen kleinen Teil von Verbrauchern, nämlich 1.200 Menschen gefragt, ob sie noch auf eine Entschädigung warten. Von den Befragten, so jedenfalls der Anbieter, wartet jeder dritte Reisende noch auf die Erstattung des Reisepreises.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Tourismus-Industrie hätten kaum extremer sein können: Der Deutsche Reiseverband (DRV) bezifferte die Umsatzeinbußen deutscher Tourismus-Unternehmen Anfang Juli im „Handelsblatt“ auf bislang 10,8 Milliarden Euro und rechnete angesichts der fortbestehenden Reisewarnung für außereuropäische Reiseziele mit weiteren neun Milliarden Euro Verlust im Juli und August. Die World Tourismus Organisation (UNWTO) sprach sogar von 195 Milliarden Dollar, die die globale Reiseindustrie bis Anfang Juli weniger umgesetzt hätte. Entsprechend naheliegend ist der Verdacht, Unternehmen wie die Lufthansa drückten sich um die Erstattung und Entschädigung ihrer Kunden. Und nicht wenige Fachleute bestätigen diese Vermutung, die auch auf eine plötzlich veränderte Vorgehensweise bei den Erstattungen nahelegt, wodurch Auszahlungen erheblich verzögert werden. Die Blitzumfrage des Reiseanbieters Mydealz vom 24. bis zum 27. Juli unter 1.200 Verbrauchern durchgeführt hat, ergibt, nicht überraschend, ein wohlwollendes Bild.
Vier von zehn Befragten von Reiseeinschränkungen betroffen
Die Bilder menschenleerer Bahnhöfe und Flughäfen zeigten während des Lockdowns eindrucksvoll, wie stark sich die Corona-Pandemie auf die Gesellschaft und das Reiseverhalten ausgewirkt haben. Vier von zehn der von dem Reiseportal betroffenen waren von den Reiseeinschränkungen aber direkt betroffen. Laut Blitzumfrage vom vergangenen Wochenende hatten 53,96 Prozent der Deutschen für die Zeit des Lockdowns keine Reise geplant. 5,75 Prozent konnten ihre geplante Reise antreten und 40,28 Prozent waren von den Reiseeinschränkungen direkt betroffen: Jeder Sechste (15,66 Prozent) musste seine Reise verschieben und knapp jeder Vierte (24,62 Prozent) gab an, der Veranstalter oder die Fluggesellschaft hätte die Reise storniert.
Vier von zehn Reisen vom Veranstalter storniert
Bei den stornierten Reisen handelte es sich mehrheitlich um Individualreisen – also um Reisen, bei denen die Reisenden Anreise und Unterkunft getrennt von einander gebucht hatten. Auch das geht aus der Blitzumfrage hervor: 59,06 Prozent der Verbraucher, deren Reise storniert wurde, hatten eine Individualreise geplant, 31,5 Prozent einen Pauschalurlaub und 9,45 Prozent eine Bausteinreise, bei der ein Vermittler oder Veranstalter Flug und Hotel separat anbietet.
Storniert wurden die Reisen in den meisten Fällen nicht von der Fluggesellschaft, sondern vom Reiseveranstalter: 39,76 Prozent der Befragten erklärten, ihre Reise sei von Unternehmen wie TUI, DER Touristik oder der FTI Gruppe storniert worden. 35,83 Prozent der Befragten gaben an, die Fluggesellschaft hätte ihre Reise storniert und knapp jeder Vierte (24,41 Prozent) erhielt vom Hotelier die Auskunft, seine Reise könnte nicht stattfinden.
Einige Reisende haben bereits eine Erstattung erhalten
Einige der Tourismusunternehmen haben den Verbrauchern bereits den Preis für die ausgefallene Reise erstattet. 35,04 Prozent der von mydealz befragten Verbraucher, deren Reise storniert wurde, haben trotz Überschreitung gesetzlicher Fristen noch keine Erstattung ihrer Vorauszahlungen erhalten. 64,96 Prozent der Befragten haben ihr Geld hingegen bereits wiederbekommen. So jedenfalls behauptet es der Veranstalter der Umfrage ohne Belege dafür zu bieten. Auch wie die Befragten ausgewählt wurden ergibt sich nicht aus der Meldung des Anbieters. Die Möglichkeiten sich die Befragten aus einer Anzahl von Menschen auszusuchen sind bekanntlich breit gefächert. Auch unklar bleibt, ob die Befragungsergebnisse aus einer größeren Menge tatsächlich Angesprochener herausgefiltert wurden.
In angeblich jedem zweiten Fall (46,46 Prozent) haben die Tourismus-Unternehmen den Reisepreis in bar erstattet, in 18,5 Prozent der Fälle in Form eines Gutscheins. Ob die betroffenen Gutschein-Kunden dies auch so wollten oder nicht, wurde offenbar nicht erfasst.
16,14 Prozent der Befragten erklärten, der Reiseanbieter hätte zumindest schon angekündigt, den für die ausgefallene Reise bezahlten Betrag erstatten zu wollen. 7,09 Prozent haben einen vom Reiseanbieter angebotenen Gutschein abgelehnt und in 6,3 Prozent der Fälle hat sich der Reiseanbieter sogar bislang geweigert, den Reisepreis zu erstatten. Weitere 5,51 Prozent der von mydealz Befragten, deren Reise storniert wurde, erklärten, sie hätten sich noch nicht um eine Erstattung gekümmert.
Jeder zehnte Flugreisende hat angeblich zusätzlich eine Entschädigung erhalten
Storniert eine Fluggesellschaft einen Flug weniger als 14 Tage vor dem geplanten Start, steht dem Reisenden in vielen Fällen eine Entschädigung zu, wenn das Flugzeug innerhalb der Europäischen Union hätte starten oder landen sollen. Das regelt das Fluggastrecht nicht nur in Nicht-Krisen- Zeiten. Gesetz ist Gesetz.
Der Veranstalter der Blitzbefragung stellt dies Sache allerdings anders da. „Der Gesetzgeber wertet die Corona-Pandemie hingegen als „außergewöhnlichen Umstand“, auf den die Fluggesellschaft keinen Einfluss hat. Airlines müssen ihren Kunden folglich keine Entschädigung für ausgefallene Flüge zahlen.“ Diese These wurde bekanntlich von den EU-Gesetzgebern mehrfach widersprochen und auch die deutsche Gesetztgebung hat sich daran zu halten. Für den Auftraggeber der Studie als potentieller Nutznießer der kühnen Behauptung passt das natürlich nicht ins Konzept.
Jeder zweite Befragte, dessen Flug während des Lockdowns storniert wurde, hat die Fluggesellschaft hingegen um eine Entschädigung ersucht – und das nur teilweise mit Erfolg: 31,87 Prozent erklärten zwar, die Fluggesellschaft habe eine Entschädigung abgelehnt. In jeden zehntem Fall haben Reisende, die hier befragt wurden eine Entschädigung erhalten – in 4,40 Prozent der Fälle in bar und in 6,59 Prozent der Fälle in Form eines Gutscheins. In weiteren 9,89 Prozent der Fälle hat die Airline zumindest bereits angekündigt, eine Entschädigung zahlen zu wollen.
Das Weltbild des Anbieters von mydealz scheint ins Wanken geraten zu sein. Bedenkt man, dass die Ideologie von „Vorauszahlung ohne Leistung und Nichterstattung oder unpünktliche Erstattung im Krisenfall“ faktische ein Darlehen oder Geldgeschenk von Verbrauchern an Unternehmen darstellt, dürfte fraglich sein, ob auch zukünftig noch Kunden bei diesem Anbietern buchen. Tatsächlich gibt es durchaus viele Fachmeinungen, die solche Krisenkosten nicht auf den Schultern von ohnehin schon schwer belasteten Verbraucherschultern sehen möchten.
Aber auch bei Verbrauchern kommt die Haltung des Verkaufsportals nicht unbedingt gut an. „Irgendwann muss ich wohl zu meinem Bäcker gehen und ihm einen Geldvorschuß für Mehl, Ladenmiete und sein Personal vorschießen, um am Folgetag meine Brötchen abholen zu können. Und all das natürlich ohne Insolvenzabsicherung“, so Michael Tripman, ein Kunde, der seit drei Monaten noch immer auf die Erstattung seines Reisevorschusses nach Stornierung wartet. „Das Geld fehlt mir nun für unseren Deutschland-Urlaub, den wir uns selbst zusammengestellt und mit dem Auto geplant hatten. Meine drei Kinder, meine Frau und ich hätten uns nach der langen Schulschließungs- und Homeoffice-Stressphase wirklich gerne noch etwas in Deutschland erholt. Aber offenbar lässt unser Wirtschaftssystem und Gesinnungen wie die von travel dealz solche Grundbefdürfnisse unbeachtet. Bevor ich auch nach Corona wieder mit dieser Branche etwas festmache schaue ich mir das Vorgehen des jeweiligen Unternehmens in Krisenzeiten sicherlich doppelt gut an.“.
Hinweis zur Methodik:
Die oben dargestellten Ergebnisse sind das Resultat einer Blitzumfrage, die das Verbraucherforum mydealz in der Zeit vom 24. bis zum 27. Juli 2020 mithilfe des Online-Befragungstools Survey Monkey unter 1.200 deutschen Kunden durchgeführt hat. Gefragt wurden die Umfrageteilnehmer, ob der Lockdown in diesem Frühjahr Auswirkungen auf ihre Reisepläne gehabt hat, ob der Veranstalter oder die Fluggesellschaft ihre Reise storniert hat und ob sie – wenn ja – bereits eine Erstattung und/oder Entschädigung erhalten haben. Ein Datenblatt zur Umfrage ist laut Anbieter hier zu finden: https://mdz.me/blitzumfrage.
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