Schon immer haben die karibischen Inseln Schriftsteller in ihren Bann gezogen. Kuba und die meerumspülten Cayos wurden für Ernest Hemingway zur zweiten Heimat. James Bond-Schöpfer Ian Fleming schrieb seine Romane in den duftenden Gärten Jamaikas.
Bermuda wurde zum Refugium für Mark Twain und
Daniel Defoe verewigte Tobago in seinem Klassiker „Robinson Crusoe“. Doch nicht nur die „zugereisten“ Literaten schöpfen aus der inspirierenden Kraft der Region. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine eigene Literaturszene entwickelt, die immer mehr an Bedeutung erlangt. Immerhin kann die Region, die kaum halb soviel Einwohner wie Deutschland hat, gleich zwei Literaturnobelpreisträger für sich beanspruchen. Ein guter Grund, sich auf eine literarische Reise in vielleicht noch unbekannte Gefilde zu begeben.
Afrikanische Erzähltradition, das diffizile Erbe des Kolonialismus und die sprachliche Vielfalt der Inseln bilden den fruchtbaren Boden für eine blühende literarische Landschaft. „Ihrer originären Sprache beraubt, kreieren die gefangenen und geknechteten Stämme ihre eigene. Darin verbinden und verbergen sie Fragmente eines alten, epischen Vokabulars, aus Asien, aus Afrika, zu einem uralten, ekstatischen Rhythmus im Blut, der nicht von Sklaverei und Knechtschaft unterdrückt werden kann“, beschreibt der in St.
Lucia geborene Dichter Derek Walcott die Sprache seiner Heimat.
Selbst Nachkomme englischer, holländischer und afrikanischer Vorfahren setzt Walcott in epischen Gedichten dem ethnischen Schmelztiegel ein melodiöses, wortgewaltiges Denkmal, für das er 1992 den Nobelpreis für Literatur erhielt. „Die Kunst der Antillen ist das Zusammenfügen unserer zerbrochenen Geschichte, der Scherben unseres Vokabulars“, so fasst er die Aufgabe, die
Kraft hinter der karibischen Kreativität zusammen.
Das „Wiederzusammensetzen“ der Fragmente, die Identitätssuche im Postkolonialismus sind das beherrschende Thema. Aufgewachsen in tropischer Fülle und Armut gleichermaßen, hin und her gerissen zwischen den Kräften des europäischen Kolonialismus und der afrikanischen Abstammung, beschäftigt
auch die Schriftstellerin Jamaica Kincaid die Frage nach dem „Wer bin ich“.
Um dies zu beantworten, wanderte die als Elaine Cynthia Potter Richardson in Antrigua geborene mit 17 Jahren nach New York aus und änderte ihren Namen, um als „neue Person“, losgelöst von ihrer Vergangenheit, zu schreiben. Zu ihren Hauptwerken gehören der Roman „Lucy“, in dem sie ihre Erfahrungen über die Zeit als Au-Pair in New York verarbeitet, sowie „die Autobiographie
meiner Mutter“, die Geschichte eines Frauenlebens in Dominica.
Auch die Schriftstellerin Edwidge Danticat hat in New York eine neue Heimat gefunden, Schauplatz ihrer vom Rhythmus des Patois gefärbten Geschichten bleibt jedoch ihr Geburtsland Haiti. Ihr Roman „Die süße Saat der Tränen“ wurde, ebenso wie Werke der puertorikanische Autorin Rosario Ferré und vier weiterer karibischer Autorinnen, mit dem Deutschen Liberaturpreis
ausgezeichnet.
Neben den spannenden jungen Autoren lohnt sich auch die Wiederentdeckung älterer karibischer Klassiker. In den zwanziger und dreißiger Jahren erschien die Tochter weißer Kreolen, Jean Rhys, auf dem literarischen Parkett Großbritanniens, nachdem sie ihre Heimat Dominica verlassen hatte. Doch erst der 1966 veröffentlichte Roman „Sargassomeer“ verschaffte ihr den
Durchbruch. Darin nimmt sie sich einer Figur aus Charlotte Brontes berühmten Werk „Jane Eyre“ an und erzählt vor dem Hintergrund der wilden Landschaft Dominicas die Geschichte der wahnsinnigen Mrs. Rochester. Um der ein wenig in Vergessenheit geratenen literarischen Gallionsfigur der kleinen Insel mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, plant man in Dominica im August 2008 ein erstes Literaturfestival zu Ehren von Jean Rhys. Auch in Antigua und Barbuda findet seit 2006 ein jährliches Literaturfestival statt (caribbeanliteraryfestival.com), ebenso wie das „Calabash International Literary Festival“ in Jamaika, zu dem sich seit 2001 alljährlich Autoren und Gäste aus aller Welt einfinden (calabashfestival.org).
Ob als vertiefende Urlaubslektüre, Einstimmung vor der Reise oder fiktionaler Besuch einer exotischen Welt: Karibische Literatur versetz den Leser an die palmengesäumten Gestade der Inseln und gestattet eine Blick in die Seele der Menschen, deren Länder zum Inbegriff für Urlaubsträume geworden sind.
Literaturtipps (zum Teil nur noch gebraucht erhältlich, z.B. bei Amazon):
V.S. Naipaul, Ein Haus für Mr Biswas
Jean Rhys, Sargassomeer
Jamaica Kincaid, Die Autobiographie meiner Mutter
Edwige Danticat, Die süße Saat der Tränen
Derek Walcott, Erzählungen von den Inseln
Rosario Ferre, Isabel