Mehrere Wochen besuchte der deutsch-türkische Künstler Yildirim Denizli 1994 das Übergangswohnheim „Am Sondert“ in Ratingen. Hier waren zu diesem Zeitpunkt Roma aus Südosteuropa untergebracht – Flüchtlinge des Jugoslawienkrieges.
Düsseldorf – Das Lager im Wald wurde so zu einem Ort ungewöhnlicher Begegnungen der Kulturen. Entstanden sind dabei 28 Portraits, die Yildirim Denizli in einem Panorama aus Angst und Verzweiflung, aber auch Hoffnung und Lebensfreude ausbreitet. Die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Mühlenstraße 29, präsentiert diese Bilder in einer Ausstellung unter dem Titel „Am Sondert – Europäische Roma-Flüchtlinge im Künstlerportrait“ (16. Dezember bis 27. Januar).
„Ich konnte schnell Vertrauen zu den Menschen entwickeln“, sagt Denizli über seine Besuche bei den Roma. „Ihr Thema war auch mein Thema: Entwurzelung, Heimatlosigkeit.“ Auf der Basis erster Skizzen entstanden Bilder in Öl und Kreide, welche die Roma in Alltagsszenen zeigen. Alle Bilder sind mit Maschendraht eingerahmt oder vollständig überzogen. Der Name der Ratinger Straße „Am Sondert“, die an der Wohnstätte vorbeiführt, ist für Denizli Symbol der Ausschließung, ein Zeichen der Ab-Sonderung.
Am 16. Dezember, dem Gedenktag für die ermordeten Sinti und Roma Europas, wird die Ausstellung um 11 Uhr in der Mahn- und Gedenkstätte, Mühlenstraße 29, von Bürgermeisterin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann eröffnet. Für die musikalische Begleitung sorgt das Sinti-Trio Otto Rosenberg aus Duisburg. Zuvor, um 10.30 Uhr, gibt es eine Kranzniederlegung und ein Gedenken am Mahnmal „Ehra“ am Rheinort (alter Hafen).
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Nordrhein-Westfalen, der Aktionsreihe „Respekt und Mut“, dem DGB Düsseldorf/Niederrhein und der Evangelischen Stadtakademie Düsseldorf. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind herzlich eingeladen.
Der Künstler
Yildirim Denizli wurde 1946 in Erzurum/Türkei geboren. Er studierte an der Hochschule für angewandte Kunst Istanbul (1968-1972) und an der Kunstakademie Düsseldorf Freie Kunst und Bildhauerei (1973-1978) bei den Professoren Norbert Kricke und Karl Bobek. Yildirim Denizli blickt zurück auf zahlreiche Ausstellungen seiner Skulpturen und Gemälde in Museen und Galerien in ganz Deutschland. Er lebt und arbeitet in Ratingen.
Das Übergangswohnheim
Der alte Flur- und Hofname Am Sondert stammt von „sonderen“ oder „sunderen“ und bedeutet so viel wie „abgelegene Waldung“. Bereits im 18. Jahrhundert taucht diese Bezeichnung auf. Ende 1943 wurde von der „Organisation Todt“, die dem Reichsminister für Kriegswirtschaft und Verkehr, Albert Speer, unterstand, an dieser Stelle ein Lager eingerichtet. Aller Vermutung nach wurden hier später Zwangsarbeiter untergebracht, die in nahe gelegenen Rüstungsbetrieben arbeiten mussten.
Zwischen Mai und September 1945 wurden in diesem Lager vorübergehend ehemalige polnische und italienische Kriegsgefangene untergebracht. Anschließend lebten hier evakuierte Bürger der Stadt Essen, die bei der totalen Bombardierung der Stadt Essen im Mai 1943 ihre Wohnungen und Unterkünfte verloren hatten. Ebenfalls wurden bis etwa 1960 auch Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten aufgenommen. Das Lager verfügte über eine Schulbaracke, einen kleinen Kindergarten und einen Raum für Gottesdienste.
Nach dem Auszug der der Lagerbewohner wurden Am Sondert Obdachlose untergebracht. Seit 1979 dient das Übergangswohnheim der Stadt Ratingen als Unterkunft für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aus aller Welt.