Aus vielen europäischen Ländern sind uns besonders Krimihelden ans Herz gewachsen. Denn Kommissar Maigret aus Paris, Inspector Lynley aus London oder Kurt Wallander aus der südschwedischen Hafenstadt Ystad transportieren neben spannenden Geschichten auch viel Lokalkolorit und gewähren Einblicke in die Mechanismen einer anderen Gesellschaft und Kultur.
Frankfurt / Bad Homburg – Japan ist für uns in dieser Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt, doch zu Unrecht. Denn auch in diesem Land hat die Kriminalliteratur eine lange Tradition und eine breite, treue Leserschaft. Bereits im 17. Jahrhundert gehörten Kriminalgeschichten zur Lektüre in Japan, und heute sind viele ihrer Helden so bekannt und beliebt, dass eigene Manga-Serien mit ihren Abenteuern erschienen sind. Ein weiteres japanisches Phänomen sind die sogenannten „Travel Mysteries“.
Autoren, die sich auf das Genre der „Travel Mysteries“ spezialisiert haben, unterhalten ihre Leser nicht nur mit spannenden Fällen, die auf spektakuläre Weise gelöst werden. Auch die Landschaften Japans, historische Besonderheiten und besonders Verkehrsmittel spielen eine wichtige Rolle: eine ganze Serie dieser „Reise-Geheimnisse“ spielt in Japans berühmten Hochgeschwindigkeitszügen, den Shinkansen. Kein Wunder, dass die Betreibergesellschaft Japan Rail darin ein interessantes Marketing-Werkzeug entdeckt hat und inzwischen mit großem Erfolg so genannte „Mystery Tours“ anbietet und verkauft – vorerst leider nur für den japanischen Markt.
In einem Kriminalroman erfährt man viel über eine Gesellschaft und ihre Schattenseiten. Japan ist zwar als besonders sicheres Reiseland bekannt – ohne Taschendiebe, Trickbetrüger und unsichere Rotlichtviertel, doch im Krimi taucht man unter die Oberfläche – und zumindest ein Stück weit ein in das Alltagsleben Japans.
Die meisten der modernen Krimis spielen im gewöhnlichen Alltag der japanischen Mittelschicht, andere im Rotlichtmilieu, das auf viele Japaner eine besondere Faszination ausübt. Viele Aspekte der japanischen Gesellschaft werden dabei beleuchtet, sei es die erste Wirtschaftskrise nach dem zweiten Weltkrieg Anfang der 90er Jahre oder der zunehmende westliche Einfluss auf die Gesellschaft und die Konflikte mit den traditionellen Werten, vor allem im Verhältnis zwischen Mann und Frau und innerhalb der Familie.
Drei in ganz Japan berühmte Autoren, deren Werke zum Teil ins Deutsche übersetzt wurden, sollen hier kurz vorgestellt werden: Der Hai von Shinjuku des japanischen Altmeisters Arimasa OSAWA ist Oberkommissar Sameshima von der Abteilung für Verbrechensbekämpfung in Tokio. Es sind nicht nur Spannung und die lebendig geschilderten Darsteller, die den Leser begeistern, sondern auch die lebensnahe Schilderung der Szene von Shinjuku, eines der schillerndsten und geschäftigsten Viertel in Tokio, und die realistische Darstellung der Polizeiarbeit.
Ganz anders Natsuo KIRINO, deren Themen sich vor allem um die Frauen und ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft drehen, und die mit Murano Miro erstmals eine Privatdetektivin in der Hauptrolle ermitteln ließ. Ihr erster ins Deutsche übersetzter Roman Die Umarmung des Todes ist nicht nur ein spannender Thriller, sondern auch ein ernüchterndes Gesellschaftsporträt, in dem der Leser in das Leben von vier japanischen Frauen eintaucht.
Die Schriftstellerin Masako TOGAWA wurde 1933 in Tokio geboren. Sie arbeitete als Nachtclubsängerin, bevor sie zu schreiben begann. Ihre meisterlichen psychologischen Kriminalromane sind Bestseller und wurden vielfach preisgekrönt. Masako Togawa besitzt einen Nachtclub in Tokio und ist eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Japan, berühmt für ihre Krimis, Essays und sozialkritischen Beiträge. Beliebtestes Buch dieser japanischen Autorin – und ins Deutsche übersetzt – ist Schwestern der Nacht.
Mit dem amüsant-spannenden Roman Die Tote im Badehaus thematisiert die Deutsch-Inderin Sujata MASSEY die Badekultur in Japan. Schauplatz dieses Krimis ist Shiroyama, ein kleiner charmanter Ort in den Bergen. Die Autorin verbrachte viele Jahre in Japan und berichtet trotz des im Mittelpunkt stehenden Mordes mit viel Humor über Sitten und Gebräuche des Landes.
Foto: JNTO