Lübbenau. Nur eine Autostunde südlich von Berlin findet sich fern ab des Großstadttrubels ein Reservat der Ruhe. Hier nisten Störche, flattern Kraniche…das „grüne Venedig“ der Hauptstadt.
Der Spreewald – Berlins grüne Oase
Mit dem Kahn auf den Spuren von Gurken und Geistern
Seit 20 Jahren wird das Naturrservat auf der Liste der Unesco geführt
Lübbenau. Nur eine Autostunde südlich von Berlin findet sich fern ab des Großstadttrubels ein Reservat der Ruhe. Hier nisten Störche, flattern Kraniche durch die Lüfte, sind Fischotter emsig und Libellen surren über die Gewässer der Fließe. Der Spreewald ist das „grüne Venedig“ der Hauptstadt. Wie in Italien können sich Naturliebhaber von Gondolieren durch Hunderte Kilometer Flussläufe und Kanäle schippern lassen.
Knuth Keinert zieht bedächtig die lange Eschenholzstange aus dem Wasser, stößt in den Boden und stemmt sich dagegen. Der Fährmann in der dritten Generation kennt Kahn und Wasserwege wie seine Westentasche. Sicher geleitet er seine neugierigen Bordgäste durch ein verwirrendes Labyrinth zahlloser Kanalverästelungen der Spree. Die Länge der im Volksmund benannten „Fließe“ addiert sich auf mehr als 1000 Kilometer. Ein Viertel davon ist befahrbar.
Vom Großen Spreewaldhafen in Lübbenau startet die Reise. Sie führt vorbei an blühenden Bauerngärten, reetgedeckten Gehöften, Feuchtwiesen, Mooren und Sümpfen. Die Unesco hat die einzigartige Auenlandschaft vor zwanzig Jahren auf die Liste der besonders erhaltenswerten Biospährenreservate gesetzt. See- und Fischadler gehören ebenso zum Spreewaldinventar wie Weißstörche und Dutzende von Libellenarten. Fährmann Keiner ist gewohnt, diese Idylle nicht zu stören. „Die Kunst des Stakens will gelernt sein“, lässt er wissen. Und: “Kraft gehört dazu, aber auch ein gerüttelt Maß an Technik“. Die ist beispielsweise gefragt, wenn sich ein ungeübter Paddler quer vor seinen Kahn schiebt. Denn auch zahlreiche Spreewalderkunder sind auf den schmalen Kanälen per Paddelboot unterwegs.
Eine Auenlandschaft, umringt von Mythen und Sagen
Schon immer war der Spreewald auch die Heimat mythischer Sagen und geheimnisvoller Geschöpfe. Hier kennt sich Ute Henschel vom Freilandmuseum Lehde bestens aus. Bei einem Kahnstopp im Inseldorf erzählt die Frau im Trachtenkleid vom Plon. Nach alter Überlieferung schenkte der feurige Drachen den Bauern Weizen, Milch und Goldmünzen. Als Dank dafür wollte er fürsorglich gepflegt und gefüttert werden. „Der Plon wurde aufgrund von Missgunst und Neid gern Leuten angedichtet, die es durch Fleiß und Tüchtigkeit zu Wohlstand gebracht hatten“, weiß die Expertin fürs Übersinnliche. Unerklärliche Lichterscheinungen am nächtlichen Himmel, so sagt sie, müssen wohl der Grund für die Entstehungsgeschichte dieser Mär gewesen sein.
60.000 Besucher finden pro Saison den Weg in das älteste Freilandmuseum Brandenburgs. Hier erleben sie hautnah, wie die Spreewaldbewohner vor mehr als 100 Jahren lebten und arbeiteten. Alte Hofanlagen und Blockhäuser wurden aus diversen Regionen zusammengetragen und auf dem Museumsareal originalgetreu wieder aufgebaut. Das Inventar erzählt davon, wie Mensch und Tier im 19. Jahrhundert auf engstem Raum zusammenkauerten, von der Kunst des Kahnbauens bis hin zur Bedeutung althergebrachter Trachtentradition. Fehlen darf dabei natürlich nicht das berühmteste Markenzeichen des Spreewalds, die Gurke. Ihr zu Ehren wird in Lehde jedes Jahr im Juli die „Gurkenkönigin“ gekrönt.
Auch die „Christel von der Post“ ist mit dem Kahn unterwegs
Zurück an Bord ermuntert Fährmann Keinert seine Besatzung dann auch zum Kauf eines Papptellerchen „Gurkenmix“ und verweist auf die lange Tradition der Anbaubetriebe rund um Lübbenau. Auch sie nutzten für den Transport vielfach den Wasserweg. Für viele Häuser, die nur von den Kanälen aus erreichbar sind, gehörten und gehören die Spreewälder Kähne zum Alltag. Die Müllabfuhr und Feuerwehr ist auf sie angewiesen und auch Jutta Pudenz, bekannt als „Christel von der Post“. Seit 20 Jahren stakst die Botin auf ihrem gelben Postkahn Briefe und Pakete von Haus zu Haus. Im Februar nächsten Jahres wolle sie ihren beschwerlichen Job an den Nagel hängen, sagt sie. Eine Nachfolgerin ist schon in Sicht.
Günter von Saint-George
4.010 Zeim