Jesu Geburt in einem provenzalischen Dorf


23 Nov 2011 [14:06h]     Bookmark and Share


Jesu Geburt in einem provenzalischen Dorf

Jesu Geburt in einem provenzalischen Dorf



„Coup de mistral“ – man muss kein Französisch können, um zu verstehen, was das heißt: ein kräftiger Windstoß, der über Südfrankreich weht. Gut möglich, dass da der provenzalische Schäfer Mühe hat, sein Cape, geschweige denn den Hut, festzuhalten. Ein Bild, das aus van Goghs Atelier stammen könnte. Aber unser sturmgepeitschter Schäfer ist aus Ton, und er steht vor der Werkstatt der Familie Fouque in Aix en Provence.

Dort werden seit vier Generationen tönerne Figuren hergestellt, vor allem für die Weihnachtskrippe. Diese „kleinen Heiligen“  – französisch „Santons“ – sind traditionell aus Ton – und sie beschränken sich keineswegs auf die Personengruppe der „üblichen Verdächtigen“ rund ums Weihnachtsgeschehen. Vielmehr finden sich Maria, Josef und das Christkind inmitten der Gesellschaft eines kompletten provenzalischen Dorfes. Jede der bemalten Figuren – ob Fischverkäufer, Wasserträgerin, Trommler oder Boule-Spieler, Blumenfrau oder Olivenpflücker – repräsentiert eine landestypische Tätigkeit. So wird die weihnachtliche Schäferszene durch die geschäftigen Leutchen so bunt, dass die eigentlichen Hauptpersonen fast untergehen. Das war ursprünglich auch so gewollt, denn zumindest in den Jahren nach der Französischen Revolution sah die Obrigkeit die Pflege des christlichen Brauchtums gar nicht gern.

Die ersten Tonfiguren wurden 1791 gebrannt. Zuvor hatten die ärmeren Leute für den Hausgebrauch sich ihre Krippenfigürchen aus Brotteig oder Papier gebastelt, bei den Reichen bestimmten venezianische Glasfiguren die Szenerie. Die tönerne Krippe setzte sich schnell durch, ein ganzer Berufszweig entstand: der Santonnier.

Den Fouques gehört die größte Santon-Werkstatt in Aix. Arbeitete man hier noch bis in die 1950er Jahre ausschließlich mit den traditionellen Abgüssen, werden heute bei steigender Nachfrage und wachsenden Ansprüchen der Kunden jährlich zahlreiche neue Formen kreiert. Zudem hat jede Santonnier-Generation ihre eigenen Ideen und Ziele. Jean-Baptiste Fouque, ein gelernter und geehrter Maler und Bildhauer, der die Firma 1934 gründete, kreierte eher statische Figuren. Sein Sohn Paul brachte zwanzig Jahre später mit besagtem „Coup de mistral“-Schäfer sprichwörtlich neuen Wind ins Geschehen: Die ländliche Szene inklusive Weihnachtsgeschichte gewann enorm an Lebendigkeit. Mireille Fouque, die das Unternehmen heute leitet, hat sich auf Symbolik spezialisiert – ihre Lieblingskreation ist eine Frau mit einer Weizengarbe: „Die steht für Hoffnung“, sagt sie. Ihr Sohn hat die traditionellen Handwerksberufe als Modelle wiederentdeckt. Jeder entwirft, formt und bemalt seine Figuren selbst.

Die fertigen Santons werden zunächst drei Wochen bei exakt 23 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent in der Werkstatt getrocknet; im Freien ist die Luft allzu trocken, so dass der Ton brechen würde. Dann wandern sie bei 950 Grad zum Brennen in den Ofen und werden nach dem Abkühlen bemalt. Einige Santonniers statten ihre Kreationen auch komplett mit Stoffkleidung aus.

Wie bei uns werden auch im Süden Frankreichs die Krippen von Generation zu Generation weitergegeben, allerdings ist das Aufstellen im Wohnzimmer naturgemäß ein sehr viel aufwändigeres Ritual als hierzulande und beginnt deshalb früh in der Adventszeit. Vorsichtig (es ist ja zerbrechlicher Ton und kein robustes Holz) werden die Santons aus ihren Kisten geholt, gegebenenfalls repariert oder durch neue ersetzt. Das kann lange dauern, denn hier geht es, wie gesagt, nicht nur um das überschaubare Personal der Weihnachtsgeschichte. Zu jeder Figur gibt es eine kleine Legende, die bei dieser Gelegenheit in der Familie gern erzählt wird. Vielleicht kauft man auch etwas Neues hinzu, zum Beispiel einen Calissonnier. Das ist ein Zuckerbäcker, der die Calissons, das traditionelle provenzalische Weihnachtsgebäck, herstellt, ein mandelförmiges Marzipankonfekt mit kandierten Melonen- und Orangenstückchen und zartem Baiserguss. In der Werkstatt Fouque, wo man sich übrigens auch gern mal über die Schulter schauen lässt, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Cornelia Raupach

Foto: Atout France/ S. Fraissard, n.h.







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